Blatter verkniffen - Minipause für FIFA-Krise in Russland

St. Petersburg (dpa) - Bei der Jazzmusik von Igor Butman konnte Joseph Blatter dann doch einmal befreit lächeln. Extrem angespannt und konzentriert hatte der Noch-FIFA-Chef zuvor seine Ansprache bei der Loszeremonie für die WM-Qualifikation in St. Petersburg gehalten.

Blatter verkniffen - Minipause für FIFA-Krise in Russland
Foto: dpa

Keine Spur mehr vom Charmeur, der den großen Auftritt liebt und seine FIFA bei entsprechenden Anlässen zelebriert. Es schien, als hätten Korruptionsskandal und mediale Radikalkritik den Schweizer mürbe gemacht. Die 120-Minuten-Show war nur eine kurze Atempause.

„Er ist ein tapferer Mann“, sagte Russlands Cheforganisator Alexej Sorokin und bezeichnete Blatter als „Opfer“, das Verantwortung für die Taten anderer übernehme. Die Rückendeckung der ihm in Treue gewogenen russischen WM-Macher wird dem 79-Jährigen nicht viel nützen, wenn er nach Zürich zurückkehrt. „Die Stimmung ist schon gedrückt. Jeder wünscht sich, dass es um den Fußball geht. Aber man merkt, dass es sehr viel Kritik gab“, beschrieb DFB-Teammanager Oliver Bierhoff die Stimmung im FIFA-Zirkel.

Der FIFA-Skandal wird nun wieder die Aufräumarbeiten Blatters vor dem Abschied beim Kongress am 26. Februar 2016 bestimmen. St. Petersburg war dabei keinesfalls frei von den Schatten, die auf Blatter lasten. Michel Platini vermied es zwar geschickt, über eine mögliche Kandidatur zu reden und referierte stattdessen über sein Lieblingsthema Financial Fair Play. Aber mit einer Kandidatur des Franzosen wird schon bald gerechnet.

„Man weiß nicht, ob und wann er sich stellt oder nicht, aber er ist klar favorisiert“, sagte Bierhoff im ZDF-„Sportstudio“. Ein Aufrücken von DFB-Chef Wolfgang Niersbach zum UEFA-Präsidenten wäre Bierhoff aber offenbar nicht recht. „Daran möchte ich jetzt gar nicht denken.“

Einen präsidialen Schulterschluss hatten zuvor Blatter und Russlands Staatschef Wladimir Putin geübt. Demonstrativ marschierten sie gemeinsam durch den prunkvollen Konstantinpalast von St. Petersburg. „Konzentrieren wir uns auf den Fußball“, sagt Kremlchef Putin, bevor sich beide die Hände jovial in Brusthöhe gaben. Lässig nahmen sie auf gepolsterten Biedermeierstühlen Platz. Blatter wirkte deutlich älter als noch vor einigen Wochen.

Zwischen dicken Folianten und prächtig bemalten Fabergé-Eiern wischte Blatter Kritik beiseite. „Wir sagen noch einmal Ja zu Russland“, meinte er und beugte sich fast verschwörerisch über den Tisch zu Putin. Der Kremlchef lächelte. Die in mehr als 150 Länder übertragene Auslosung war ein Meilenstein auch für den oft als „heimlichen Weltsportminister“ bezeichneten Politiker, der viele Großereignisse in sein Land holte - von Olympia bis zur Fußball-WM. Russland zeigte sich als freundlicher, dezenter Gastgeber.

Es schien auch, als wollte Putin mit der Auslosungs-Gala allen Boykott-Forderungen - etwa wegen Russlands Rolle im Ukraine-Konflikt - Paroli bieten. Und doch spielte die Krise im Nachbarland am Rande eine Rolle: Die Ukraine schickt zur Auslosung nicht Nationalcoach Michail Fomenko, sondern nur Assistent Wladimir Onischtschenko.

Und wie Blatter hat auch Putin Gegner: Sie kritisieren „Putins WM“, die in St. Petersburg mit dem Slogan „Hier beginnt der Traum“ wirbt, seit langem als Ein-Mann-Show. Für den Lebenstraum des „Zaren“ würden inmitten der Wirtschaftskrise Milliarden verpulvert, betonen Kritiker. Aber Blatter wird in der Stadt der Weißen Nächte nicht müde, den begeisterten Sportler Putin zu loben. Das russische Volk könne stolz sein auf seinen Präsidenten, meinte Blatter.

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