Jürgen Gelsdorf: „Mit 13 gibt’s hundert Götzes“

Leverkusens Nachwuchschef Jürgen Gelsdorf über junge Fußball-Talente und den Weg, den die West-Vereine gehen.

Herr Gelsdorf, die Bundesliga kritisiert 1899 Hoffenheim, weil der Erstligist einen 13-jährigen Jungen aus Berlin in sein Nachwuchsleistungszentrum geholt hat. Ist das nicht ein normaler Vorgang?

Jürgen Gelsdorf: Ist es nicht unbedingt. Wir in Leverkusen machen so etwas nicht. Wir fangen damit in der B-Jugend an, wenn die Jungs 15 oder 16 sind, dann leben sie hier in unseren Gastfamilien. Mit 13, das ist schon sehr früh.

Kann es denn Sinn machen, in diesem Alter zuzugreifen? Markus Babbel hat es eine „aggressive Vorgehensweise“ genannt.

Gelsdorf: Wir leben in einem freien Land. Ich bin aber mal gespannt, wie viele von den 12- oder 13-jährigen Fußballern in fünf Jahren noch in Hoffenheim spielen. Wir und viele andere Vereine würden es nicht machen. Weil die Talentprognose in diesem Alter einfach unglaublich schwierig ist. Ein Mario Götze war in diesem Alter in der ganzen Republik bekannt, allen war klar, der muss Nationalspieler werden. Aber: in diesem Alter gibt es hunderte Götzes. Und die wenigsten schaffen es.

Geben Sie uns ein Beispiel?

Gelsorf: Wir hatten hier in Leverkusen mal den D-Jugendspieler Dennis Krol. Ein unglaubliches Talent. Wir waren dann bei einem Turnier in Spanien, danach ist der Junge gleich beim FC Barcelona geblieben. In der A-Jugend kam er wieder zurück, heute spielt er irgendwo in der Landesliga. Er ist nicht gewachsen, hat sich nicht so entwickelt, wie man es hätte annehmen wollen. Oder schauen Sie sich Marco Reus an. Der ist Dortmunder durch und durch, schläft in BVB-Bettwäsche. Aber zu einem Zeitpunkt, wo er nicht elf oder zwölf sondern 15 oder 16 war, haben die Dortmunder gesagt: Das reicht nicht. Und was ist jetzt? Jetzt legen sie 17 Millionen für ihn auf den Tisch.

Gladbach hat just Alexander Ring geholt und ist begeistert. Er hat in der Leverkusener Jugend gespielt.

Gelsdorf: Ein ganz toller Junge mit Fußballsachverstand, ein Riesenkicker. Wenn der es auf dem Niveau schafft, werden die Gladbacher viel Freude an ihm haben. Der Junge hat in der B-Jugend bei uns kaum gespielt, den haben wir trotzdem mit in die A-Jugend genommen. Aber dann haben wir gesehen, dass er es körperlich überhaupt nicht schafft. Die Gegner haben ihn schlicht umgerannt. Die Eltern sind dann zurück nach Helsinki gegangen. Und was passiert? Der Junge wird plötzlich noch einen Kopf größer. Sie sehen: Wenn alles zu berechnen wäre, wäre es doch sehr trist.

Also ist das Hoffenheimer Verhalten zu kritisieren?

Gelsdorf: Die Eltern sind entscheidend: Wenn die sagen, wir finden das gut und wollen das — dann ist es so. Das muss man dann nicht aggressiv nennen. Die Hoffenheimer werden die Eltern und den Jungen nicht genötigt haben. Da wird vernünftig gearbeitet.

Wie groß ist der Konkurrenzkampf der Vereine im Westen?

Gelsdorf: Es gab einst bundesweit eine Vereinbarung: Ist ein Spieler in einem Leistungszentrum eines Vereins angemeldet, wird er nicht abgeworben. Dann kamen aber die Engländer und haben die Spieler geholt, deshalb hat man das aufgekündigt. Aber: Die Vereine hier im Westen haben klare Absprachen, wir machen das nicht. Das wäre ja auch verrückt. Ein Mario Götze war hier auch bekannt, natürlich auch Lukas Podolski. Der war aber Kölns Spieler. Gonzalo Castro war mit 15 richtig gut, hätte auch gehen können, sagt aber: Ich spielen seit Jahren hier, Bayer ist mein Klub.

Wie binden die Klubs die Talente?

Gelsdorf: Verträge mit unter 18-Jährigen können maximal drei Jahre laufen. Wenn der Junge in Hoffenheim also jetzt 13 Jahre alt ist, wird er nicht länger als für drei Jahre unterschreiben können. Das Risiko für Hoffenheim besteht, dass die den Jungen mit viel Aufwand holen und investieren, dass sie ihn aber nach drei Jahren an einen anderen Klub verlieren. Das können sie nicht absichern.

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