Der ratlose Joachim Löw

Der Bundestrainer ringt in Berlin um Worte. Und die Fußball-Welt fragt sich, wie es weitergehen soll.

Berlin. Joachim Löw wirkte konsterniert, wortkarg, ratlos. Schockstarre. „Das ist schwer zu erklären, schwierig einzuordnen“, sprach der Bundestrainer. Nach einem Spiel, das es so noch nie gegeben hatte. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll, wir alle haben so etwas noch nicht erlebt.“ Löw kämpfte mit den Worten. Ausreden suchte er gar nicht erst.

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft verspielt in Berlin gegen Schweden einen 4:0-Vorsprung. „Bild“ titelte nach dem 4:4 (3:0) „Blöd-Rekord“. „Schweden war 60 Minuten gar nicht vorhanden“, erkannte der Bundestrainer.

„Die letzten 30 Minuten waren unglaublich schwach.“ Diese halbe Stunde offenbarte eine deutsche Defensive, die diese Bezeichnung auf internationalem Niveau nicht wirklich verdient.

Philipp Lahm hatte auch keine Erklärung. Der Kapitän war entgegen allen Beteuerungen nochmals auf der linken Seite aufgelaufen, weil Marcel Schmelzer verletzt passen musste. Lahm sah im ersten Durchgang eine deutsche Vorstellung, die von nichts anderem als Perfektion getragen war.

Nichts, aber auch gar nichts, ließ diese Leistung zu wünschen übrig, das Team kombinierte, als hätte es schon seit einem Jahrzehnt in dieser Formation gespielt. Die Schweden kamen gar nicht zum Luft holen, ein deutscher Treffer reihte sich an den anderen.

Als Zlatan Ibrahimovic das 1:4 markierte, machte sich noch niemand Gedanken. Ob 4:0 oder 4:1, das sind Marginalien. Als das 2:4 fiel, begann das Nachdenken. Und nach dem 3:4 das Chaos.

In der deutschen Abwehr funktionierte nichts mehr, die Mannschaft, die 2014 in Brasilien Weltmeister werden will, fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus. „Wir werden daraus lernen müssen“, meinte der Bundestrainer, der im zweiten Durchgang keine Ansprechebene zu seinem Team fand.

Das Schicksal spielte an diesem Abend vor 76 000 Zuschauern Schach mit Löw. Und es setzte ihn matt. „Eine Lehre für alle Zeiten“, wollte er schließlich erkennen.

Was bedenklich stimmt, ist die Tatsache, dass sich die deutsche Abwehr völlig aushebeln ließ. Und zwar alle Akteure einschließlich des Torwarts Manuel Neuer, der in der Schlussphase alle Sicherheit verlor.

Der Verlauf des Spiels ließ sich an den Aktivitäten des schwedischen Superstars Ibrahimovic ablesen. Im ersten Durchgang fehlte dem kickenden Millionär die Lust, in der Halbzeit muss er aber in der Kabine das Wort an sich gerissen haben. „Absolut professionell“, nannte das Trainer Erik Hamrén. „Er ist ein wahrer Kapitän.“

Nach dem 1:4 griff sich der 31-Jährige den Ball und rannte entschlossen zur Mittellinie. In Zweikämpfen präsentierte sich Ibrahimovic als Kraftwerk, von nichts und niemandem mehr aufzuhalten. Der Zeitpunkt für Schwedens Gegenwehr war gekommen. Und die Mannschaft folgte ihrem Anführer.

Die deutsche Mannschaft konnte keinem folgen, weil sie keinen hat. „Ich fühle mich ein wenig komisch“, sagte Schwedens Trainer hinterher, „wir lagen 0:4 hinten und spielen 4:4, das ist neu für mich, ich kenne das nicht, das ist einfach unglaublich.“

„Schlafen Sie gut“, sagte der Schwede zum Abschied. Weil er wusste, dass niemand gut schlafen konnte. Auch Löw nicht. Irgendetwas in seiner Mannschaft funktioniert nicht mehr. Wenn es noch funktionieren würde, könnte aus einem 4:0 niemals ein 4:4 werden. „Als Trainer ist man da ein wenig machtlos“, sagte Löw. Das kann man so sehen. Muss man aber nicht. Dann verschwand Löw hinter dem Vorhang.

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