Ziege vor EM-Auslosung: "Wir können jeden schlagen"

Düsseldorf. Christian Ziege, am Freitag findet in der Ukraine die Auslosung der EM-Vorrundengruppen statt. Nimmt man das als Spieler, als der Sie einst drei Europameisterschaften gespielt haben, eher am Rande mit?


Christian Ziege: Ich bin nicht derjenige gewesen, der sagt: Oh Gott, hoffentlich bekommen wir nicht den oder den. Wenn wir so stark sind, wie wir derzeit sind, muss man sich nicht verstecken. Die Plattitüde lebt: Wenn Du das gewinnen willst, musst Du jeden schlagen. Und das Potenzial haben wir.

Sie sind 1996 in England Europameister geworden. Welche Bilder haben Sie vor Augen?

Ziege: Ich erinnere mich natürlich an die Nervosität vor dem Start. Aber letztlich sind die Bilder vom Ende des Turniers hängen geblieben, das Halbfinale im Elfmeterschießen gegen England, das Golden Goal gegen Tschechien.

Im Halbfinale haben Sie den vierten Elfmeter geschossen. In Wembley, EM-Halbfinale gegen England. Was ging Ihnen durch den Kopf?

Ziege: Es war nach 120 Minuten eine echte Kopfsache, sich noch zu konzentrieren. Dann in England, gegen England, Halbfinale, der vierte Schütze, da geht es Richtung Ende (lacht), das war nicht ganz einfach. Aber ich habe solche Herausforderungen gemocht, habe mich früh festgelegt, wo ich hinschieße. Du darfst einfach nicht darüber nachdenken, ob es noch andere Möglichkeiten gibt.

Die Mannschaft von 1996 galt als charakterstark mit vielen Alphatieren wie Matthias Sammer, Thomas Helmer oder Jürgen Klinsmann.

Ziege: Es war eine besondere Mannschaft, weil wir eine gute Mischung aus Erfahrenen und guten jungen Spielern hatten. Bis auf kleine Zwischenfälle sind wir auch außerhalb des Platzes sehr eng zusammengewachsen, das ist in einem solchen Turnier nicht alltäglich. In den freien Momenten sind wir fast als gesamte Truppe immer zusammengeblieben. Das war nicht vorgegeben, es hat einfach gepasst. Wir haben das schwierige Spiel gegen Italien in der Vorrunde überstanden, wo wir bei einer Niederlage (0:0) nach Hause gefahren wären. Das war das Spiel, wo du sagst: Hier musst du nicht gut spielen, aber weiterkommen. Italien war überlegen, Andi Köpke hielt einen Elfmeter. Es war entscheidend für den Erfolg.

Trifft sich diese Mannschaft heute noch gelegentlich?

Ziege: Nein. Ich weiß, dass es das bei den 90er-Weltmeistern gibt. Von denen waren 1996 auch noch welche dabei. Das hat bei uns nie jemand in die Hand genommen. Aber aus meiner Sicht muss das auch nicht sein. Für den Moment war das eine tolle Sache. Jeder erinnert sich gerne, aber ich muss das nicht auf diese Art pflegen. Man trifft sich in den unterschiedlichsten Bereichen ohnehin wieder.

Es hieß, diese Mannschaft habe sich von alleine trainiert, der Trainer Berti Vogts habe eine eher untergeordnete Rolle gespielt.

Ziege: Da widerspreche ich komplett. Ich habe Vogts in der U17, U21 dann als Nationaltrainer erlebt. Er hatte damals ein unglaublich großes Vertrauen in diesen Kader. Er war ruhiger als 1994, das weiß ich von anderen Spielern, 1998 bei der WM war ich dabei, da war es dann wieder anders. Aber er hat 1996 viel Ruhe ausgestrahlt, das machte das Ganze angenehm. Man muss auch beachten, dass Lothar Matthäus 1996 nicht dabei war, das hat für uns eine Rolle gespielt. In Deutschland haben die Medien darauf gewartet, dass es nicht funktioniert, dass es heißt: Wie kann man Matthäus zu Hause lassen? Im Unterbewusstsein hat das den Zusammenhalt der Mannschaft gestärkt.

Ist das eine Parallele zum Team bei der WM Südafrika 2010 ohne Michael Ballack?

Ziege: Ich kenne beide Spieler, man kann sie nicht miteinander vergleichen. Ballack ist für mich ein sehr dominanter Spieler, aber das kann man allein deshalb nicht vergleichen, weil 2010 kein Titel heraussprang. Der Fußball ist schneller geworden, die Typen haben sich verändert. Früher haben wir auch den einen oder anderen gehabt, der Dinge gemacht hat, die nicht so gut waren. Das gibt es heute weniger, die Spieler sind sehr professionell.

Sie sind heute U18-Trainer beim Deutschen Fußball Bund. Sportdirektor Matthias Sammer hat sie geholt, ein Kollege von 1996. Die alte Bande?

Ziege: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das etwas damit zu tun hat. Wenn man zusammen erfolgreich war und sich kennt, dann spricht man noch heute viel über Fußball. Letztlich hat es dann eher damit zu tun, welche Arbeit man vorher gemacht hat — und welchen Eindruck man von jemandem hat.

Sammer fordert fortwährend eine Fixierung auf Titel, die Spieler müssten dieses Ziel immer im Blick haben. Wie stehen Sie zu dieser Prämisse?

Ziege: Ich denke, wir haben eine hervorragende deutsche Nationalmannschaft derzeit. Das einzige, was fehlt, ist ein — gewiss verdienter — Titel, die Belohnung für das, was sie da treiben. Ich bin als U18-Trainer, der die U19 im nächsten Jahr zur EM führt, nicht angetreten, um Zweiter zu werden. Dann muss man nicht anfangen. Wir sind auch zur Ausbildung da, aber dazu gehört auch, dass man den Titel erreichen will. Das ist der Moment, die Bestätigung. Wir haben die Möglichkeiten, das muss das Ziel sein. In zwei Jahren spricht keiner mehr vom Finalisten.

Wie heiß auf Titel waren Sie bei den Europameisterschaften 2000 und 2004? Turniere, in denen Deutschland in der Vorrunde ausschied.

Ziege: 2000 war nicht besonders schön, im Vorfeld liefen viele Dinge nicht optimal, die wir in das Turnier mitgenommen haben. Da hätten wir über den Titel gar nicht sprechen müssen. 2004 war wieder anders, ich war vorher 13 Monate verletzt, habe dann in England noch zehn Spiele gemacht und bin dann nachträglich reingerutscht, weil sich Christian Rahn verletzt hatte. Ich hatte keinen Einsatz.

Nach der verpatzten EM 2000 hat der DFB sein Ausbildungskonzept überdacht, durch die Einführung neuer Leistungszentren den Grundstein für die Talentschwemme von heute gelegt. Sie haben damals viel kritisiert, den Trainer Ribbeck, die Spieler Matthäus und Balack. War Ihnen klar, dass der Fußball in Deutschland neu gedacht werden musste?

Ziege: Umso länger eine Karriere läuft, umso mehr macht man sich Gedanken, warum etwas wie auf dem Fußballplatz läuft. Am Anfang habe ich Dinge umgesetzt, die mir mitgegeben wurden, später habe ich mich dann viel damit auseinandergesetzt. Das sind meine Motive: Wie kann ich den Jungs, die ich heute trainiere, vermitteln, warum genau sie was machen sollen. Ich habe da vor allem in Italien viel gelernt, unter Giovanni Trapattoni schon beim FC Bayern, später unter Fabio Capello beim AC Mailand. Immer mit Argumenten, detaillierten Erklärungen.

Sie leben nach Ihrer Zeit als Trainer von Arminia Bielefeld in der vergangenen Zweitliga-Saison wieder in Düsseldorf. Wird die Fortuna aufsteigen?

Ziege: Sie stellen sich an. Sie sind auf einem guten Weg, die Stimmung ist hier dementsprechend. Ich hoffe, dass Düsseldorf so euphorisch bleibt, wenn es in der Bundesliga nicht mehr so läuft, wenn eventuelle Niederlagenserien folgen. Düsseldorf hat es verdient zurückzukommen.

Borussia Mönchengladbach ist die jüngste Erinnerung, Sie haben zuletzt 2008 als Sportdirektor und Co-Trainer von Hans Meyer dort gearbeitet. Der Verein ist Tabellenerster. Wie kann das sein?

Ziege: Ich freue mich vor allem für die Leute, die ich dort noch kenne. Als ich kam, war der Verein gerade in die 2. Liga abgestiegen, wir haben den Aufstieg hinbekommen. Natürlich gab es damals schwierige Phasen, im vergangenen Jahr auch eine ähnliche Situation, aber jetzt sind sie auf einem mehr als guten Weg, sie haben einen guten Trainer, der die Dinge ganz offensichtlich gut voran treibt. Alle Beteiligten dürfen das endlich mal genießen. Ich selbst bin ein Stück weit stolz, dazu beigetragen zu haben, dass wir mit dem Aufstieg den Grundstein gelegt haben.

Gibt es noch Kontakt nach Gladbach oder ist da durch die letzten schlecht gelaufenen Monate und nach Ihrer Kündigung als Co-Trainer etwas kaputt gegangen?

Ziege: Nein, überhaupt nicht. Wir haben viel Kontakt nach Gladbach. Wir sind immer miteinander vernünftig umgegangen, ich denke dass ich in diesem Bereich auch viel mit beeinflussen konnte. Auch mal ruhig zu bleiben, wenn es nicht ganz so gut läuft. Nicht die Nerven verlieren, wenn man überzeugt vom Weg ist. Fehler passieren immer, deshalb ist aber nicht immer die ganze Arbeit schlecht. Das hat sich fortgesetzt, als der Verein lange an Michael Frontzeck festgehalten hat.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort