Roman Neustädter „Schalke ist größer als Gladbach“

Gelsenkirchen. So schnell geht das manchmal: Weil der FC Schalke 04 arge Probleme in der Abwehrzentrale hatte, beorderte der damalige Trainer Jens Keller Roman Neustädter aus dem Mittelfeld in die Innenverteidigung.

Roman Neustädter ist wieder im Schalker Mittelfeld aktiv.

Roman Neustädter ist wieder im Schalker Mittelfeld aktiv.

Foto: Matthias Balk

Gegen Bremen, FC Chelsea, Eintracht Frankfurt und Borussia Dortmund verloren die Schalker mit dem 24-Jährigen auf der zentralen Abwehrposition nicht. Der neue Trainer Roberto Di Matteo aber versetzte ihn zurück. Vor dem Spiel gegen den FC Augsburg am Freitag (20.30 Uhr) sprachen wir mit dem 24-Jährigen.

Herr Neustädter, wie hat Roberto Di Matteo bei Ihnen eingeschlagen?
Roman Neustädter:
Man sieht, dass er viel Erfahrung hat, dass er viel mit den Spielern spricht, darüber, was er erwartet. Auch explizit mit den Mannschaftsteilen: Viererkette, Mittelfeld, Sturm. Wir haben in bestimmten Bereichen schon spürbare Fortschritte gemacht, aber natürlich geht nicht alles in ein paar Tagen. Wir stehen jetzt hinten deutlich kompakter und vorne sind wir in der Regel immer für Tore gut. Auch wenn das gegen Leverkusen nicht der Fall war. Sie haben mit vier Jahren ihr Geburtsland Ukraine verlassen und sind nach Deutschland gezogen.

Wie verfolgen Sie die Entwicklung in der Ukraine?
Neustädter:
Ich habe gehofft, dass alles gut geht, der Konflikt schnell beigelegt wird. Ja, aber Russland war ein großes Land. Ich bin da geboren, aber bald umgezogen zu meinen Großeltern nach Kirgistan und bin dort aufgewachsen. Ich habe von meiner Heimat nicht so viel mitbekommen. Wir haben dort weder Freunde, noch Familie oder Bekannte. Mein Vater hat dort Fußball gespielt, dann oft den Verein gewechselt — und dann sind wir wieder umgezogen.

Ihr Vater war Profi bei Dnipropetrowsk, Ihr Bruder spielt bei Twente: Liegt also in der Familie Neustädter das Fußball-Gen?
Neustädter:
Na ja. Ich bin früh angefangen. Mein Vater war mein Vorbild. Er war verhältnismäßig oft früh nach dem Training zu Hause und dann haben wir Fußball gespielt. Er hat mich einfach gelassen und ich habe Spaß daran gefunden. Ich war glücklich, dass ich in seine Fußstapfen getreten bin.

Können Sie das beschreiben, dieses Glücklichsein, reflektieren Sie das manchmal? Neustädter: Ja. — Wenn ich mal bei meinen Eltern bin oder meinem Bruder bin und dann alles mal Revue passieren lasse. Es war ja auch nicht einfach für uns als wir hergekommen sind, beispielsweise mit der Sprache. Trotzdem hatte ich kaum Probleme in der Schule. Und dann war ich ja auch jede freie Minute auf dem Fußballplatz. Da gab es ja keine Computer, keine Spielkonsolen. Ich habe meine erste Playstation mit 21 bekommen. Jetzt sind die Bolzplätze leer. Es hat sich vieles verändert. Die heutige A-Jugend beispielsweise: die Jungs sind so krass ausgebildet. Ich habe damals in der Regionalliga gespielt, die Schalker A-Jugend spielt Bundesliga und Youth Champions League.

Ihr früherer Trainer in Gladbach, Lucien Favre, hat einmal gesagt, Sie seien für die Borussia so wichtig wie Xavi für Barca. Ehre oder Last?
Neustädter:
Hat er das? Das ist eine Ehre für mich. Sie haben mit die besten Passquoten, die meisten Lauf-Kilometer im Spiel. Aber kaum jemand registriert das.

Warum?
Neustädter:
Ich arbeite daran. Ich will eine Führungsposition einnehmen, das braucht aber Zeit. Früher hat man eher extrovertierte Persönlichkeiten auf dem Platz dafür gebraucht, Spieler wie Effenberg oder Matthäus. Aber der Fußball hat sich verändert. Denken Sie an die deutsche Nationalmannschaft, die als richtige Einheit auftritt. Die haben richtig gute Individualisten, es ist aber selten, dass da Einzelne in den Vordergrund rücken. Einige werden hineingeboren, andere entwickeln sich. Ich mich auch?

Sie gelten jedenfalls außerhalb des Platzes nicht gerade als Lautsprecher.
Neustädter:
Genau. Auch Lahm und Schweinsteiger sind keine Lautsprecher, aber wenn die etwas sagen, hört die Mannschaft auf sie.

Ihre auch auf Sie?
Neustädter:
Ja, wenn ich etwas sage, wird es zumeist auch angenommen. Aber andere haben eben manchmal auch eine andere Meinung. Wichtig ist es dann, das Beste aus den einzelnen Ideen für das ganze Team herauszuziehen.

Sie gelten als Taktik-affin, so sehr, dass die FAZ mal unterstellte, Sie hätten den perfekten Blick für Raum und Zeit.
Neustädter:
Ich sehe mir sehr, sehr viele Spiele und Spieler an. Von vielen habe ich sehr viel gelernt, auch von Favre, Makélélé (französischer Fußballer und Trainer) oder Herrera (Manchester United). Bestes Beispiel ist Xabi Alonso, wie der beim Gegenpressing schon ahnt, wohin der Ball kommen wird. Er muss das im Gefühl haben. So habe ich Fußball gelernt, ich ahne manchmal Situationen voraus — keine Ahnung, ob intuitiv oder nicht. Es hat jedenfalls geklappt. Zu den Spielintelligentesten in der Bundesliga gehören Marco Reus — nicht nur, weil ich mit ihm befreundet bin — oder Mats Hummels. Wie die spielen, das ist nicht Spekulation, sondern Intuition.

Max Eberl, Mönchengladbachs Sportdirektor, mutmaßte mal, dass Sie woanders deutlich mehr Geld verdienen könnten als bei der Borussia — und dann kamen Sie auf Schalke. War das das ausschlaggebende Moment?
Neustädter:
Na ja. Jeder verdient ja Geld, aber das war nicht ausschlaggebend. Ich wollte wirklich etwas Neues. Ich hatte eine super Zeit in Mönchengladbach und habe auch immer noch gute Kontakte mit vielen dort. Ich bekomme auf jeden Fall immer eine Eintrittskarte, wenn ich eine haben möchte (lacht). Aber ich brauchte damals einfach eine Veränderung. Und Schalke ist ja auch noch mal eine Nummer größer.

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