Kabinen-Alltag einer Kanzlerin

Nach dem Sieg gegen Portugal ist Angela Merkel wieder einmal auf Tuchfühlung zu den DFB-Kickern gegangen. Es gilt: Nichts geschieht unvorbereitet. Das kommt ihr zugute.

Kabinen-Alltag einer Kanzlerin
Foto: Witters, dpa

Berlin. Tatsächlich ließ sich kein einziger deutscher Kicker finden, der auf ein Gruppenfoto mit „Mutti“, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel abseits des politischen Parketts gerne genannt wird, keinen Wert legte. Hätte ja sein können. Der Ur-Dortmunder Kevin Großkreutz etwa steht nicht zwingend im Verdacht, konservativ zu wählen, wobei: Auch das ist nur eine Unterstellung.

Kabinen-Alltag einer Kanzlerin
Foto: WilfriedWitters

Fakt ist: Angela Merkel, am vergangenen Sonntag gen Brasilien aufgebrochen, am Montag auf der Tribüne in Salvador gesessen, am Dienstag wieder deutschen Boden betreten - kam nach dem deutschen 4:0-Sieg gegen Portugal in die Mannschaftskabine, gratulierte und versammelte alle 23 Nationalspieler um sich. Ihr vorbereiteter Hoffotograf drückte auf den Auslöser, am Dienstag war das Bild der Renner in den sozialen Medien.

Es ist gut gelaufen für Merkel, Sieg auf ganzer Linie. Im Fernsehen war die etwas eckig aber durchaus herzlich jubelnde Kanzlerin in jedem Spielbericht zu sehen. Und ihr „Selfie“-Foto mit Lukas Podolski, der gerne mit einer engen Beziehung zur Kanzlerin kokettiert, wurde millionenfach aufgerufen. Merkel, das Maskottchen der DFB-Elf, die Mutter der Kompanie.

Von wegen Sport und Politik gehören nicht zusammen. Seit der WM 2006 in Deutschland begleitet sie das Team und genießt die hier wie dort geschickt verbreitete Meinung, zum Inventar der Mannschaft zu gehören. Inzwischen rufen die Fans schon „Angie, Angie“, wenn sie auf der Stadiontribüne auftaucht. Wo doch sonst jeder höhere Funktionär oder gewichtige Staatsmann gnadenlos ausgepfiffen wird.

Merkel greift Sympathien ab, wenn es die sonst so kühle Physikerin im Stadion aus dem Sitz reißt. Wenn sie sich in die Kabine zu halbnackten und schwitzenden Männern gesellt. Bundestrainer Joachim Löw sagt: „Wir freuen uns immer, wenn sie in die Kabine kommt.“

Zum Löw-Tross hält sie seit der WM 2006 engen Kontakt. Und was 2010 in Berlin beim WM-Qualifikationsspiel gegen die Türkei noch ein echter Aufreger war, als Mesut Özil duschbereit und halbnackt die Hand der Kanzlerin schüttelte, regt heute kaum noch auf.

Das alles ärgert die Opposition. Der grüne Konstantin von Notz, Mitglied des NSA-Untersuchungsausschusses, twitterte über das Foto: „Das hier ist billig. Ein Selfie von Merkel mit Edward Snowden — das würde mich beeindrucken.“ Aber in Zeiten wie diesen hat man es mit Kritik nicht leicht, die Grünen stehen wieder als Spaßbremse da.

Was will die Kanzlerin mehr? Pro forma hat sie am Montag auch noch die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff getroffen. So ein Flug nach Brasilien ist schließlich teuer, zur Wahrheit gehört die Kritik an den Steuergeldern, die da in gehobenem Maße verprasst werden. Die Regierung hüllt sich in Sachen Kosten lieber in Schweigen. Versprochen hat Merkel, dass sie zum Finale wiederkommen will.

Doch die Kanzlerin muss aufpassen: Kickt das Team mal schlecht, kann das auch schlecht für sie sein. Wer sich mit dem Fußball verbündet, könnte in den Sog seiner Misserfolge geraten. Zu Zeiten Helmut Schmidts und Helmut Kohls war das so. Da waren die Politiker wie die Kicker, defensiv, unkreativ, rumpelig. Reformstau und Abschlussschwäche auf beiden Seiten. Davon ist die Republik aber im Moment entfernt. Politisch und fußballerisch. Glück für Merkel.

In Berlin heißt es jetzt, die Regierung werde im Schatten der Fußballeuphorie rasch unliebsame Gesetze durchpauken. Im Sommermärchen 2006 wurde die Mehrwertsteuer erhöht, zur WM 2010 der Krankenkassenbeitrag. 2012, während des Halbfinals Deutschland gegen Italien bei der EM, wurde ein neues Meldegesetz verabschiedet. Und 2014? Ende Juni ist Haushaltswoche. Dann gilt es, genau hinzuschauen.

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