Spanien droht WM-Aus: „Chile ist ein Finale für uns“

Curitiba (dpa) - Nach der historischen Klatsche gegen die Niederlande steht dem WM-Titelverteidiger schon früh ein unerwartetes Endspiel bevor. Spanien muss gegen Chile unbedingt gewinnen, um nicht schon vorzeitig kläglich zu scheitern.

„Chile ist ein Finale für uns“, sagte der beim 1:5 (1:1)-Debakel an mehreren Toren mitschuldige Keeper und Kapitän Iker Casillas und hob die herausragende Bedeutung der Partie gegen die siegreich in die WM gestarteten Südamerikaner hervor. Der wie die meisten seiner Mannschaftskollegen im zweiten Durchgang völlig untergegangene Abwehrchef Sergio Ramos rechnete realistisch-nüchtern vor: „Ein Remis ist zu wenig.“ Und Mittelfeldmann Cesc Fábregas sprach dramatisch von einem „Spiel auf Leben und Tod“.

Tatsächlich droht Spanien vier Jahre nach seinem historischen Titel-Triumph das gleiche blamable Schicksal wie zuletzt den Champions Frankreich und Italien. Sie mussten 2002 bzw. 2010 nach indiskutablen Leistungen bereits nach der Vorrunde wieder heimfliegen. Selbst ein Sieg am Mittwoch ist wegen der miserablen Tordifferenz keine Garantie fürs Weiterkommen. „Wir tun alles, um die sechs Punkte zu holen“, versicherte Fábregas.

Kein Wunder, dass am Wochenende im Trainingsquartier CT do Caju trotz Sonnenscheins in der Regen-Hauptstadt Brasiliens die Stimmung eher trüb war. Der Schock von Salvador saß zumindest bei den Spielern noch tief. Ramos räumte ein, dass er nach dem nächtlichen Heimflug nach Curitiba nur sehr schlecht geschlafen habe. „Das ging mir immer wieder durch den Kopf.“ Der geknickte Champions-League-Gewinner urteilte, für diese Pleite „gibt es keine Entschuldigung“. Verteidiger Jordi Alba wirkte ebenfalls völlig bedient: „Keiner konnte sich vorstellen, dass wir fünf Tore kassieren.“

Allein Vicente del Bosque nahm die Niederlage bewundernswert ruhig und gefasst. Der honorige Trainer versuchte, trotz der vertrackten Lage mit seinem Lächeln eine positive Stimmung zu erzeugen. Natürlich hatte auch ihn diese Lehrstunde extrem getroffen, aber er wollte aus der Demontage kein Drama machen. „Im Sport kann das so laufen“, sagte del Bosque am Samstag. „Wir müssen den Kopf oben behalten.“

Mit seinem Eingeständnis, bei der Partie Chile gegen Australien eingeschlafen zu sein, sorgte der Schnauzbartträger sogar für Heiterkeit. Del Bosque hatte sich weit nach Mitternacht eine Aufzeichnung in seinem Hotelzimmer angesehen und war eingenickt.

Zumindest zeitweise im Tiefschlaf schienen auch seine Schützlinge am Freitagabend gewesen zu sein. Eigentlich allen, teils wunderschönen Toren durch die überzeugenden Robin van Persie (44./72. Minute), Bayern-Star Arjen Robben (53./80.) und Stefan de Vrij (64.) gingen krasse individuelle Fehler voraus. Dabei hatte es bei der Neuauflage des WM-Finales von Südafrika nach der Führung durch Xabi Alonso (27./Foulelfmeter) zunächst gut ausgesehen.

Dann aber kam es zur höchsten Niederlage eines Titelverteidigers beim Turnierauftakt und der zweithöchsten Schlappe Spaniens überhaupt seit einem 1:6 gegen Brasilien 1950. „1:5 - eine Katastrophe von historischem Ausmaß. Spanien kassiert in einem Spiel mehr Gegentreffer als bei der WM 2010 und der EM 2012 zusammen“, empörte sich „Marca“. Das Fachblatt war mit schwarzer Titelseite und der Aufforderung „Bringt das wieder in Ordnung!“ erschienen.

Die seriöse „El País“ lästerte: „Die spanische Elf, die seit 2008 in keinem EM- oder WM-Spiel mehr als ein Gegentor kassiert hat, erlebt einen totalen Kollaps, ein Inferno.“ Die Verlierer akzeptierten die Kritik, nicht aber deren harschen Ton. „Wir bitten um Entschuldigung, ich als Erster“, sagte Casillas. Vorwürfe, das Team sei zu alt, habe seinen Zenit überschritten und 16 WM-Akteure von Südafrika seien zu viel, wiesen Ramos und del Bosque entschieden zurück.

„Es ist verrückt, vom Ende eines Zyklus zu sprechen“, urteilte Ramos. „Wir sind noch nicht nach Hause geschickt worden.“ Der Trainer verteidigte die Nominierung mit den Erfolgen der Champions auch mit ihren Clubs und fügte an: „Xavi ist der Einzige mit 34.“

Da del Bosque bei personellen Umstellungen eher eine konservative Politik betreibt, ist kein radikaler Umbau zu erwarten. „Es kann sein, dass es Wechsel gibt, da es ein anderes Spiel ist. Aber es ist nicht der Moment, darüber zu reden“, sagte er. Casillas steht jedenfalls nicht zur Disposition.

Klatsche und Kritik führten dazu, dass die selección noch enger zusammenrückte. Es sei ein Markenzeichen dieses Teams, dass es in schwierigen Momenten immer aufgestanden sei, sagte Ramos: „Wir haben keine Angst, im Gegenteil.“ In Rio will sich Spanien wieder wie ein echter Weltmeister präsentieren. „Wir sind weiter voller Stolz, Motivation, Leidenschaft und Hunger“, versicherte der Real-Star. Xabi Alonso erklärte, die Mannschaft habe auch intern diskutiert, was sie besser machen müsse.

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