IOC-Exekutive empfiehlt Olympia-Aus der Ringer

Lausanne (dpa) - Das olympische Ringen hat ein Ende. Nach dem angekündigten Olympia-Aus am Dienstag in Lausanne droht dem Traditionssport der Absturz in die Bedeutungslosigkeit.

„Eine olympische Sportart muss Tradition und Fortschritt verbinden“, erklärte IOC-Vize Thomas Bach die Entscheidung der 15-köpfigen Exekutive, Ringen zur Streichung aus dem Programm der Spiele von 2020 an zu empfehlen. Durch den überraschenden Beschluss behält der Moderne Fünfkampf - vor der Sitzung noch Streichkandidat Nummer eins - seinen Olympia-Status.

Fassungslos kommentierte Deutschlands langjähriger Vorzeige-Ringer Alexander Leipold den schmerzhaften Schlag. „Ich bin geschockt, ich kann es gar nicht glauben“, sagte der Sieger des Olympiaturniers von 2000 der Nachrichtenagentur dpa. „Ringen ist Schach auf der Matte, Ringen ist die Traditionssportart, die von Anfang an dabei ist. In den USA, im Iran, Aserbaidschan, Georgien, Russland oder Kasachstan sind es Volkssportarten.“ Nach Angaben des internationalen Verbandes (FILA) war der Ringkampf bereits 708 vor Christus Bestandteil des antiken Olympia-Programms. Auch bei den ersten Spielen der Neuzeit 1896 war Ringen olympisch, seit 2004 gehen zudem die Frauen bei Olympia auf die Matte.

In einer ersten Stellungnahme reagierte die FILA-Spitze mit „großem Erstaunen“ auf das IOC-Urteil. „FILA wird alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, die IOC-Exekutive und IOC-Mitglieder vom Irrtum ihrer Entscheidung gegen eine der ursprünglichen Sportarten der antiken und modernen Olympischen Spiele zu überzeugen“, hieß es in einer Pressemitteilung vom Dienstag. Ringen habe stets alle IOC-Regeln eingehalten und sei in 180 Ländern vertreten.

Das FILA-Präsidium wird sich am 16. und 17. Februar treffen und nach eigenen Angaben „eine globale Strategie ausarbeiten“. Verbandspräsident Raphaël Martinetti erklärte in einem Schreiben „an die Ringerfamilie der ganzen Welt“, er „hege keinen Zweifel, dass unsere Eintracht und Solidarität es uns ermöglicht, diese Feuerprobe zu bestehen.“

Im vierten und entscheidenden Wahlkampf hatten acht Mitglieder der IOC-Exekutive gegen Ringen votiert. Je drei Mitglieder sprachen sich gegen den Olympia-Verbleib von Hockey und dem Modernen Fünfkampf aus. Die fehlende Weiterentwicklung, ein wenig glaubwürdiges Anti-Doping- Programm und die zu große finanzielle Abhängigkeit der Mattenkämpfer vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) deuteten die Olympier als Hauptargumente für ihre ablehnende Haltung an. Tatsächlich scheint Ringen ohne die millionenschwere IOC-Unterstützung nur schwer überlebensfähig. „Es ist nicht das Ende des Sports, Ringen wird es immer geben“, sagte Leipold beinahe trotzig.

344 Ringer und Ringerinnen waren bei den London-Spielen am Start. Dabei wurden im Freistil in elf Gewichtsklassen Medaillen verteilt, im griechisch-römischen Stil gab es in sieben Gewichtsklassen Entscheidungen. In Rio de Janeiro steht der Internationale Ringerverband (FILA) nun vor seiner Abschiedsvorstellung, auch weil sich die FILA-Funktionäre ihrer Sache zu sicher schienen und keinerlei Lobbyarbeit betrieben.

Zum Ende der geheimen Abstimmung im Palace Hotel von Lausannne standen neben Ringen und Modernem Fünfkampf unerwartet auch Hockey und Kanu zur Disposition. „Einen musste es treffen“, kommentierte das zweite deutsche IOC-Mitglied, Claudia Bokel, pragmatisch, „es war eine sehr schwere Entscheidung.“

Das IOC begründete seinen Entschluss offiziell unter anderem mit den niedrigen Werten, die das Ringen bei einer detaillierten Analyse aller 26 olympischer Sommersportarten bekam. Dabei hatte die Programm-Kommission des IOC insgesamt 39 Kriterien wie TV-Quoten, Zuschauerzahlen, Ticketverkäufe, Verbreitung, Mitgliederzahlen und Attraktivität für Jugendliche untersucht. „Ich war baff“, meinte der Schweizer René Fasel, Vorsitzender der Vereinigung aller Wintersportverbände zum Ergebnis.

Die Entscheidung der Exekutive muss von der IOC-Vollversammlung im September in Buenos Aires noch bestätigt werden. Dieser Schritt gilt allerdings als reine Formalie. Bei ihrer Sitzung im Mai in St. Petersburg wird das IOC-Kabinett empfehlen, welche Sportart dafür nachrückt.

Ringen kann sich mit den sieben olympischen Ersatzkandidaten (Baseball/Softball, Klettern, Karate, Rollschuhsport, Squash, Wakeboarden, Wushu) wenigstens dem Votum stellen - aber kaum mit einer unmittelbaren Wiederaufnahme ins Programm rechnen.

IOC-Präsident Jacques Rogge hatte bereits zweimal vergeblich versucht, sein Premium-Produkt Olympia auch auf Kosten des Modernen Fünfkampfes zu modernisieren. Er hatte bei seinen Reformvorstößen auf der Session 2002 in Mexiko-Stadt und 2005 in Singapur aber jeweils empfindliche Niederlagen erlitten.

Und auch dieses Mal retteten die Modernisierungsmaßnahmen des deutschen Weltverbandspräsidenten Klaus Schormann die Mehrkämpfer vor dem prophezeiten Ausschluss. „Wir haben Dinge versprochen und sie gehalten. Es ist ein großartiges Gefühl“, so Schormann. Mit einem offenen Brief hatte er an die olympische Familie appelliert, „das Vermächtnis von Pierre de Coubertin“ nicht zu zerstören. Der französische Neubegründer der Spiele hatte den Modernen Fünfkampf stets als Inbegriff des Olympismus bezeichnet hatte. Jetzt hat es Ringen erwischt - eine der klassischen Sportarten der Antike.

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