Jürgen Pahl: Der Torwart, der sich den Ball selbst reinwarf
Vom Republik-Flüchtling der DDR zum Obstbauern in Paraguay: Der lange Weg des Jürgen Pahl.
Düsseldorf. Das Einwurf-Tor gegen Jean-Marie Pfaff oder die Kopfballtreffer von Oliver Reck und Tomislav Piplica fehlen in keinem Pleiten-Pech-und-Pannen-Sampler der Bundesliga-Geschichte. Doch das kurioseste Eigentor eines Torhüters, das vor 27 Jahren beim Spiel zwischen Werder Bremen und Eintracht Frankfurt fiel, ist so gut wie vergessen. Denn von jenem Moment, als sich Jürgen Pahl den Ball im Wortsinn selbst ins Tor warf, gibt es keine Fernsehaufnahme - darauf waren die Kameraleute nicht vorbereitet.
Das Missgeschick geschah in der dritten Minute; Pahl legte seine ganze Kraft in einen Abwurf, als er mitten in der Bewegung sah, dass sich der als Adressat des Balles auserkorene Ralf Falkenmayer wegdrehte. Pahl brach die Aktion erschrocken ab, doch der Schwung war zu groß: Es riss den Eintracht-Torhüter zu Boden, der Wurf ging los - nach hinten, ins eigene Tor. Werder führte 1:0 und ließ zwei Treffer von Rudi Völler und Wolfgang Sidka zum 3:0-Endstand folgen.
"Solche Eier passieren nur großen Torhütern", kommentierte Pahl sein Missgeschick lässig. Trainer Branko Zebec nahm ihn zur Pause aus dem Spiel. In Frankfurt ist der Schlussmann den Fans unvergessen; nicht wegen des Eigentores von Bremen, sondern als Torwart, der mit der Eintracht den DFB-Pokal und den Uefa-Cup gewann. Als Pahl neulich bei einem Kurzbesuch in der alten Heimat war, wunderte sich der einstige Träger einer Lockenmähne, dass ihn mancher Fußballfan trotz seines Glatzkopfes erkannte und freudig auf alte Zeiten ansprach.
Und Pahl hat viel zu erzählen. Mitte der 70er Jahre war er einer der Jungstars des DDR-Fußballs, doch dann setzte er sich mit seinem Freund Norbert Nachtweih im November 1976 bei einem U21-Länderspiel in der Türkei ab. Nach einer 16-monatigen Sperre, wie sie die Fifa damals fast immer gegen flüchtige Ostblockspieler verhängte, debütierte das Duo im März 1978 für Frankfurt.
Ein aufregendes Leben, aber noch längst nicht alles. Heute lebt Jürgen Pahl in Paraguay, betreibt mit seiner Lebensgefährtin eine Obstplantage. Hinter ihm liegt eine Entwicklung, die seine Distanz zum Profifußball und zur Heimat hat wachsen lassen. Als die Tageszeitung "taz" vor der Weltmeisterschaft 2006 und dem Duell der deutschen Elf mit Paraguay um eine Stellungnahme bat, antwortete Pahl mit fünf handschriftlichen, per Fax übermittelten Seiten, in denen er seine Abkehr vom westlichen Leben beschrieb, sich selbst einen "optimistischen Apokalyptiker" nannte und mit diesen Zeilen schloss: "Der Sinn des Lebens liegt nicht in Paraguay oder in Deutschland; er liegt in jedem selbst. Innere Entwicklung zur höheren Reife unseres Geistes und unserer Seele sind der einzige Sinn. Wenn ich einst aus dieser Welt gehe, lächle und sage: Jetzt freue ich mich auf das Neue, dann habe ich mein Ziel erreicht."
Wer würde es wagen, diesen Mann nach einem vergessenen Eigentor zu fragen?