„Kampf des Lebens“: DDR-Sportler und ihre Flucht

Berlin (dpa) - Als DDR-Sportler holten sie Medaillen, stellten Weltrekorde auf und wurden als Idole gefeiert - der schönste Augenblick ihres Lebens hat jedoch nichts mit Sport zutun: 50 Jahre nach dem Mauerbau erzählen ehemalige Ost-Athleten von ihrer Flucht in den Westen.

Der Wettkampf seines Lebens fand bei Dunkelheit und ohne Schiedsrichter statt. 22 Kilometer kraulte der Meister-Schwimmer Axel Mitbauer durch die Ostsee. Eine Medaille bekam er dafür nicht. Er wurde mit etwas anderem belohnt: der Freiheit. Mitbauer ist einer von zahlreichen DDR-Athleten, die ihren Sport nutzten, um in den Westen zu fliehen.

Am Donnerstagabend traf sich der zweimalige DDR-Meister über 400 Meter Freistil in Berlin mit anderen Republikflüchtlingen anlässlich des 50. Jahrestags des Mauerbaus am 13. August. Darunter waren Ex-Diskus-Weltrekordler Wolfgang Schmidt und Sportfunktionär Manfred Steinbach. An seine Flucht im Wasser erinnert sich der 61-jährige Mitbauer gut: „Rein. Möglichst nicht erwischt werden und ab.“ Über einen Rückzieher habe er nicht nachgedacht. „Mein Leben in der DDR war praktisch zu Ende“, sagt er. „Für mich gab es nur die Gewinnung eines neuen Lebens.“

Das war 1969. Heute räumt er ein: Es war nicht alles schlecht im DDR-Sport. „Man muss auch mal sehen, dass wir aus Traditionsvereinen stammen“, sagt er. „Ich empfand mich auch als Vertreter der Stadt Leipzig.“ Leichtathlet Manfred Steinbach pflichtet ihm bei. Sportliche Erfolge hätten DDR-Sportler auch an ihr Land gebunden. „Da war man plötzlich stolz auf das Jäckchen, das man trug“, erinnert sich der 77-Jährige. „Da gab es auch so etwas wie Identifikation.“

Warum wollten dennoch so viele Ost-Sportler rüber in den Westen? „Die Sportler hatten natürlich die Welt gesehen und wussten: Wenn wir mit dem Leistungssport aufhören, sind wir hier gefangen“, erklärt Jutta Braun vom Zentrum deutsche Sportgeschichte, dem Mitveranstalter des Treffens.

„Im Sport war der Mauerbau nicht die eigentliche Zäsur“, sagt die Sporthistorikerin. Entscheidend sei das Jahr 1968 gewesen, in dem beide Staaten erstmals olympisch getrennt wurden. „Weil da der Kampf um die Medaillen entbrannte und sich das bessere Deutschland auf dem Sportplatz beweisen sollte.“ Die DDR belegte in Mexiko-Stadt damals Platz fünf im Medaillenspiegel - die Bundesrepublik wurde Achter.

Die Erfolge der Ost-Athleten waren jedoch nicht selten die Folge von Doping - oftmals ohne das Wissen der Sportler selbst. „Republikfluchten, die zu Doping-Enthüllungen führten, waren natürlich besonders gefährlich für den SED-Staat“, sagt Braun. Umso misstrauischer beäugte man daher dort die West-Kontakte der Athleten.

Bei gemeinsamen Staffeltrainings habe aber niemand gesagt: „Eigentlich müsstest du zu uns kommen“, beteuert der mehrfache deutsche Weitsprungmeister Steinbach. Steinbach flüchtete schon 1958 in den Westen - mit einem eigens für Sportler ausgestellten Reisepass.

„Mein schönster Augenblick war der 2. November 1987, als ich ausgereist bin aus der DDR“, sagt Wolfgang Schmidt, der Olympia-Zweite von 1976 in Montreal. Selbst all seine sportlichen Auszeichnungen könnten da nicht mithalten. Ein Stasi-Spitzel hatte seine Fluchtpläne zunächst verraten und ihm damit anderthalb Jahre Gefängnis beschert.

Heute pendelt Schmidt zwischen Berlin und den USA. Schwimmer Mitbauer ist in die Schweiz gezogen. Ihren deutschen Pass wollen aber beide nicht abgeben. „Wenn ich nach Deutschland komme, bin ich immer heimisch“, sagt Schmidt. „Ich bin Deutscher bis auf die Knochen.“

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