Interview Doping in der Leichtathletik: „Das ist der realistische Zustand des Sports“

ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt über seine Recherchen im Dopingsumpf der Leichtathletik, deutsche Fälle und inhumane Züge in Sportverbänden

Hajo Seppelt Foto: Rainer Jensen dpa/lbn

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Foto: Rainer Jensen

Düsseldorf. Die ARD-Dokumentation „Geheimsache Doping - Im Schattenreich der Leichtathletik“ hat drei Wochen vor Beginn der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Peking (22. bis 30. August) für Aufsehen gesorgt. Die Auswertung einer Liste mit 12 000 Bluttests von rund 5000 Läufern ergab: 800 Athleten sollen dopingverdächtige Blutwerte aufgewiesen haben. Sie alle starteten von 2001 bis 2012 bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen.

Wir sprachen mit dem verantwortlichen Redakteur Hajo Seppelt, der bereits mit der Dokumentation „Geheimsache Doping — Wie Russland seine Sieger macht“ die Funktionäre im Leichtathletik-Weltverband (IAAF) aufgeschreckt hat.

Herr Seppelt, wie reagiert die Sportwelt auf die Ausstrahlung Ihrer Dokumentation?

Hajo Seppelt: Wichtig ist, dass die Problematik einer immer breiteren Öffentlichkeit immer stärker bewusst wird. Das Dopingproblem des Leistungssports ist nicht allein das Problem der Doper, sondern auch das Problem der Dopingbekämpfung.

Was meinen Sie damit?

Seppelt: Es sind Sportfunktionäre, die in den Verbänden die Oberhoheit und die Macht über den Sport haben. Das Ganze ist schon lange ein Milliardengeschäft — deshalb ist diese Form der Macht über den Sport auch nicht mehr zeitgemäß. So lange die Dopingbekämpfung in der Hand derjenigen liegt, die den Sport promoten, die die Jagd nach Weltrekorden immer stärker finanziell unterfüttern und mit dem Sport Geld verdienen wollen, so lange besteht ein nicht lösbarer Interessenskonflikt.

Sind Sie für ein Anti-Doping-Gesetz in Deutschland?

Seppelt: Ja, bin ich, weil der Sport ein Kulturgut ist und nicht mehr weiter allein in der Hand von Verbänden liegen darf. In diesen Sport werden Hunderte von Millionen Euro von Staatsgeldern investiert. Der Staat muss auch das Recht haben einzugreifen.

Dann hätten wir in Deutschland ein Anti-Doping-Gesetz — und andere Nationen scheren sich nicht um das Problem?

Seppelt: Wäre das ein Argument? Nur weil die anderen noch lange nicht so weit sind, sollten wir davor zurückschrecken? Das kann es ja wohl nicht sein.

Sie sagen, dass wir davon ausgehen müssen, dass jede dritte Medaille bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen in Ausdauerdisziplinen, wo es um Blutdoping geht, im Zeitraum zwischen 2001 und 2012 von Athleten gewonnen wurde, die mit Doping zu tun hatten. Verdächtigen Sie auch deutsche Sportler?

Seppelt: In dieser Datenbank der IAAF haben wir erst einmal alle Werte gesichtet. Darunter sind verdächtige und unverdächtige Werte, es geht in diesem Fall auch nur um den Verdacht des Blutdopings. Wir reden hier noch nicht von Anabolika oder anderen Mitteln. Auch bei deutschen Sportlern gibt es in dieser Datenbank den ein oder anderen Wert, der zumindest über dem Durchschnitt liegt, aber lange nicht so extrem und in der Vielzahl, wie das bei russischen oder kenianischen Sportlern der Fall ist. Bei den Russen etwa lagen 80 Prozent der Werte von Medaillengewinnern, die zu finden waren, im auffälligen Bereich.

Wie bewerten Sie diese Recherche-Ergebnisse?

Seppelt: Mich erschreckt die eigene Welt, in der der Sport lebt. Und mich erschreckt dieses Ausleseprinzip von Individuen im Interesse Dritter. Da halten Funktionäre oft Sonntagsreden über das Selbstbestimmungsrecht der Sportler. Das gibt es aber nicht. Die inhumanen Züge mancher Sportverbände in Bezug auf den Hochleistungssport sind schlimm.

Vor der Ausstrahlung der Reportage sollen Sie von der IAAF bedrängt worden sein.

Seppelt: Wir haben wieder ein Schreiben bekommen, in dem darauf hingewiesen wurde, bestimmte Dinge nicht zu veröffentlichen und Persönlichkeitsrechte und Ähnliches nicht zu verletzen. Das ist aber — wie man in der Dokumentation sehen konnte — auch gar nicht unser Anliegen. Es geht darum, auf die Dopingstrukturen aufmerksam zu machen. Die Situation würde sich leider schnell wieder beruhigen, wenn die Medien nicht weiter konsequent über das Thema berichten und Druck auf die Sportverbände ausüben.

Überrascht Sie bei den Recherchen ein solches Ausmaß an Auffälligkeiten noch?

Seppelt: Nein, ich bin seit 20 Jahren mit dem Thema Doping befasst. Das, was ich jetzt gesehen habe — und es geht hier um eine hohe Wahrscheinlichkeit von Blutdoping — habe ich für den vollkommen realistischen Zustand des Sports gehalten. Das überrascht mich nicht mehr.

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