Hamilton: „Ich suche nicht nach Akzeptanz“

São Paulo (dpa) - Mit dem dritten WM-Titel hat Lewis Hamilton sein Lebensziel als Formel-1-Pilot erreicht. Nun befindet er sich in einer Orientierungsphase.

Hamilton: „Ich suche nicht nach Akzeptanz“
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„Ich bin noch lange nicht am Ende, aber ich bin jetzt in einer Phase der Reflexion, der Entdeckung und ergründe meine nächsten Ziele“, sagte Hamilton vor dem Grand Prix von Brasilien im Interview der Deutschen Presse-Agentur und sprach außerdem über Vertrauen, die High Society und seinen alleinstehenden Onkel.

Sie haben nach der Party anlässlich des 60. Geburtstags ihrer Mutter ein Video ihres alleinstehenden Onkels bei Instagram veröffentlicht und dort seine Vorzüge angepriesen. Haben sich schon interessierte Frauen gemeldet?

Lewis Hamilton: Ich habe in den letzten Tagen nicht mehr nachgeschaut. Aber schon in derselben Nacht waren da ein paar Nachrichten, er hat definitiv seine Fans (lacht).

Sie kümmern sich um Ihre Familie. Sind Sie ein Familienmensch?

Hamilton: Ja. Die Familie ist das Wichtigste, sie kommt immer zuerst. Meine Familie ist der Grund, dass ich heute hier bin. Meine Familie war in meinem Leben immer für mich da.

Sind Ihre größten Befürchtungen, dass Ihrer Familie etwas zustoßen könnte?

Hamilton: Über solche Dinge denke ich nicht nach. Wir halten zusammen, niemand von uns ist alleine. Solange wir alle zusammen sind, sind wir sicher.

Vertrauen Sie leicht anderen Menschen oder nur Ihrer Familie?

Hamilton: Ich vertraue meiner Familie am meisten, das ist ganz sicher. Man sagt schließlich: 'Blut ist dicker als Wasser'. Aber ich vertraue genauso auch anderen Menschen. Mein bester Kumpel zum Beispiel ist eine Zugabe für meine Familie, obwohl er nicht dasselbe Blut hat. Im Laufe der Zeit kannst du deine Familie mit Menschen vergrößern, selbst wenn sie nicht blutsverwandt sind.

Brauchen Sie lange, um anderen Menschen vertrauen zu können?

Hamilton: Ich denke, das geht jedem so. Wenn du meinst, jemandem zu einem frühen Zeitpunkt vertrauen zu können, machst du dir etwas vor. Es braucht Zeit, jemanden kennenzulernen.

Vertrauen Sie Menschen auch blind? Zum Beispiel innerhalb des Mercedes-Teams?

Hamilton: Ich muss zum Beispiel meinem Team vertrauen, dass der Wagen sicher ist. Dieses Vertrauen habe ich. Es ist aber eine andere Form von Vertrauen, als wenn ich zum Beispiel meine Kinder bei Fremden lassen müsste.

Sie kommen aus einfachen Verhältnissen, haben aber Zugang zur High Society. Fühlen Sie sich unter den Stars auch mal fehl am Platz oder komplett angenommen?

Hamilton: Ich fühle mich nicht als Teil von ihnen. Es fühlt sich definitiv eher surreal an, wenn ich da hereinplatze. Ich habe zum Beispiel gedacht: 'Oh Mann, ich stehe neben Karl Lagerfeld.' Ich mag diese Erfahrungen, weil sie für mich eine Wertschätzung bedeuten. Viele Leute meinen, dass sie zu dieser Welt gehören und sie glauben an diesen ganzen Rummel. Sie meinen, sie wären auf einem Level mit diesen Stars. Ich mag es jedes Mal, dass es sich surreal anfühlt.

Sehen diese Stars Lewis Hamilton als Menschen oder als den Formel-1-Weltmeister?

Hamilton: Das weiß ich nicht, das ist mir auch nicht wichtig. Ich suche nicht nach Akzeptanz. Wenn ich solche Leute treffe, habe ich den Eindruck, dass sie sich mir gegenüber normal verhalten.

Musik spielt in Ihrem Leben eine große Rolle. Wenn Sie ein Lied auswählen müssten, dass Ihre Formel-1-Saison 2015 und Ihre Gefühle umschreibt, welches würden Sie wählen?

Hamilton: Es gibt nicht dieses eine Lied. Es gibt für jede Emotion ein eigenes Lied, bei mir wäre es deshalb eher ein Album.

Sie spielen gerne Piano und sind im Land von Bossa Nova und Samba. Beherrschen Sie Songs in dieser Stilrichtung?

Hamilton: Nein, ich spiele nur drei Songs auf dem Piano. Adele, „Someone like you“, Bruno Mars, „When I Was Your Man“, und ein bisschen von einem Lied von John Legend und Lionel Richies „Easy“.

Seit mehr als zwei Wochen sind Sie nun dreimaliger Formel-1-Weltmeister. Hat Sie das noch gieriger für die Zukunft gemacht?

Hamilton: Ich denke nicht. Ich bin noch lange nicht am Ende, aber ich bin jetzt in einer Phase der Reflexion, der Entdeckung und ergründe meine nächsten Ziele.

Zeichnen sich in dieser Phase schon bestimmte Formen ab?

Hamilton: Nein, ich bin im Entdeckungs-Modus. Es gibt noch keine Form und es wird wohl auch keine geben bis zum Winter. Wenn ich noch mittendrin im Rennfahren bin, ist es schwer zu ergründen, was die nächsten Ziele sind.

Die Frage, was für Sie drei Titel in Serie bedeuten würden, können Sie demnach nicht beantworten.

Hamilton: Ich weiß natürlich, dass ich in die nächste Saison gehen werde, hier sein werde und weiter gewinnen will. Es gibt aber keinen besonderen Ansatz bislang.

Waren Sie schon nach Ihrem ersten Titel im Entdeckungs-Modus?

Hamilton: Nein, weil ich erst jetzt das Ziel meines Lebens erreicht habe, drei Weltmeisterschaften zu gewinnen.

Erwarten Sie für kommendes Jahr vor allem einen Titelkampf mit Sebastian Vettel?

Hamilton: Erwarte ich es? Ich mag es generell nicht, in ein Jahr mit Erwartungen zu gehen. Ich erwarte von mir persönlich etwas. Das bedeutet, der Beste zu sein, der ich sein kann; fit zu sein, mental vorbereitet zu sein. Aber es gibt keine Erwartungen um mich herum. Wenn man ans Leben Erwartungen stellt, wird man konstant enttäuscht, man öffnet sich selbst für Enttäuschungen. Daher habe ich keine Erwartungen. Ich fühle jetzt, dass mir mein Team wieder das beste Auto bauen wird, und ich hoffe, dass wir die Besten bleiben. Man muss sich aber bewusst sein, und das sind wir als Team, dass die anderen Rennställe extrem Druck machen.

Was ist der Unterschied zwischen Ihnen und allen anderen Fahrern, die Sie hinter sich lassen?

Hamilton: Ich weiß nicht, ob ich das wirklich beantworten kann. Wir kommen alle aus verschiedenen Welten, wir haben unterschiedliche DNA, verschiedene Persönlichkeiten, unterschiedliche Fahrstile. Ich kann die Unterschiede zwischen Sebastian und mir oder Nico und mir nicht beschreiben. Ich kann nur von mir sprechen und hoffen, dass da etwas Besonderes ist, das mich von den anderen abhebt.

Sie wirken mental sehr stark.

Hamilton: In meiner aktuellen Lebensphase habe ich ganz bestimmt den Speed. Und die mentale Stabilität in den vergangenen beiden Jahren war sicher die beste seit langer, langer Zeit. Wenn das den Unterschied macht - gut. Aber es gehören noch eine Menge andere Dinge dazu. Der Fokus ist alles. Der Fokus ist der Schlüssel. Wenn Dir der Fokus fehlt, hast Du nichts.

Fürchten Sie, dass Ihnen die mentale Stabilität nächstes Jahr verloren gehen könnte?

Hamilton: Um ehrlich zu sein, nein. Ich bin seit 22 Jahren Rennfahrer. Es gab Aufs und Abs. Es gab Jahre, in denen mir der richtige Fokus gefehlt hat. Selbst wenn ich versucht habe, ihn zu bekommen, habe ich ihn nicht gefunden. Angst ist aber nicht mein Antrieb. Es gibt nur Dinge zu gewinnen, nicht zu verlieren. Es gibt nur Dinge zu lernen. Vor einem liegt nur Wachstum. Ich habe alles erreicht, was ich immer erreichen wollte. Alles von nun an ist nur eine Zugabe. Es wird Rennen geben, die ich verlieren werde. Es wird Rennen geben, in denen ich Fehler machen werde. Aber alles wird auf der großartigen Grundlage aufbauen, die ich als Rennfahrer habe.

Was waren die Zutaten, damit Sie Ihren wahren Fokus finden konnten?

Hamilton: Ich hatte immer diesen Fokus, manchmal reicht das aber nicht. Schauen Sie auf Serena Williams in ihrem letzten Spiel. Sie ist die Beste, aber sie hat nicht gewonnen. Sie hatte den Fokus, aber vielleicht nicht den besten. Es ist ein sehr schmaler Grat, es geht manchmal nur um ein Prozent oder Millimeter und das ganze Spiel ist verloren. Was meiner Meinung nach eine wichtige Rolle spielt, ist ein friedliches Leben, nicht zu viel Ballast zu haben, keinen Stress. Man muss das Leben genießen, man muss auch loslassen können, um weiter wachsen zu können. In der Vergangenheit habe ich Dinge Tage um Tage mit mir rumgeschleppt, die mich von meiner Entwicklung abgehalten haben. Es kommt genauso auf die Menschen an, mit denen man sich umgibt, auf die Dinge, die man wertschätzt oder nicht. Man kann immer falsche Entscheidungen treffen, ich habe aber gelernt, was zu mir passt. Und heute bin ich in der besten Ausgangslage, in der ich je war.

ZUR PERSON: Lewis Hamilton ist die derzeit prägende Fahrer-Figur der Formel 1. Seit 2007 ist der Brite in der Königsklasse des Motorsports aktiv. Ende Oktober konnte der 30-Jährige in den USA seine dritte Fahrer-WM perfekt machen.

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