Experte Nieland: „IOC Gefangener des eigenen Prozesses“

Kuala Lumpur (dpa) - Für den Kölner Sportwissenschafter Jörg-Uwe Nieland ist das Internationale Olympische Komitee (IOC) bei der Wahl der Winterspielestadt für 2022 am Freitag auf dem 128. Kongress in Kuala Lumpur ein „Gefangener des eigenen Prozesses“.

Experte Nieland: „IOC Gefangener des eigenen Prozesses“
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Das sagte der Vergabe-Experte im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Almaty und Peking sind Städte in Ländern, die für Menschenrechtsverletzungen kritisiert werden. Als Handicap für die Hamburger Bewerbung um die Sommerspiele 2024 sieht er die Präsidentschaft von Thomas Bach, „weil dadurch der Eindruck entsteht: Die sind ja schon gut versorgt!“

München ist mit Bewerbungen um die Olympischen Winterspiele 2018 und 2022 gescheitert. Hat der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) daraus etwas gelernt? Und sind die Chancen Hamburgs, den Zuschlag für die Sommerspiele 2024 zu erhalten, nun besser?

Jörg-Uwe Nieland:Ja. Der DOSB und auch die Politik scheinen aus den negativen Erfahrungen der letzten Bewerbungen - und hier ist neben den Bemühungen von München an das klägliche Abschneiden von Leipzig oder Berlin zu erinnern - gelernt zu haben. Hamburg hat sein Konzept öffentlich zur Diskussion gestellt, auch dort, wo es Kritik gab.

Budapest, Paris, Rom, voraussichtlich Toronto und nach dem Rückzug von Boston eine andere US-Stadt werden die Konkurrenten um die Spiele 2024 sein. Kann Hamburg mithalten als B-Stadt ohne Hauptstadt-Bonus?

Nieland:Ja und Nein. Berlin hat ja gedacht, der Hauptstadtbonus trägt. Da hat Hamburg schon einmal die Hauptstadt ausgestochen - mit einem interessanten Konzept. Der nationale Wettbewerb hat also vor allem der Hamburger Bewerbung gut getan. Es reicht offenbar nicht aus, wenn man selber glaubt, man sei sexy.

Paris bewirbt sich zum dritten Mal um Spiele - ein Vorteil?

Nieland:Pyeongchang, das im dritten Anlauf die Winterspiele 2018 bekommen hat, lässt das vermuten beziehungsweise aus Hamburger Sicht befürchten. Was aber negativer für Hamburg ist, ist, dass das IOC mit Thomas Bach einen deutschen Präsidenten hat.

Ist die mögliche Vergabe der Fußball-EM 2024 nach Deutschland ein Handicap für die Hamburger Kandidatur?

Nieland:Das ist wie die Präsidentschaft von Bach ein Handicap, weil dadurch der Eindruck entsteht: Die sind ja schon gut versorgt! Das wird im IOC wahrgenommen und diskutiert. Dem wäre zwar entgegenzuhalten, dass Brasilien 2014 die Fußball-WM und 2016 die Olympischen Spiele bekommen hat, aber ernst nehmen sollten die Verantwortlichen diesen 'weichen' Faktor im Rennen um den Zuschlag.

Bei den Vergaben von Sportgroßveranstaltungen haben nicht immer die besten Kandidaten gewonnen. Vielmehr waren Interessen wie Erschließung von Märkten, TV-Einnahmen - und Korruption - im Spiel!

Nieland:Der beste Bewerbung gewinnt nicht unbedingt - das klingt absurd, aber die Niederlage von München ist ein weiterer Beleg. München hatten in nahezu allen Kategorien die beste Bewerbung, aber Pyeongchang hat mit dem dritten Versuch gewonnen. Hier zeigte sich: Oft sind Interessen ausschlaggebend, die den Spielen nicht gut tun. Hinzu kommt das Ziel des IOC, neue Märkte - in diesem Fall für den Wintersport - zu erschließen.

Und Korruption?

Nieland:Das ist weiter das Thema. Doch da hat der Fußball-Weltverband FIFA das größere Problem.

Wird die Wahl von Almaty oder Peking eine Hypothek für das IOC in den kommenden Jahren sein?

Nieland:Hypothek ist ein guter Begriff. Das IOC versucht, mit der Agenda 2020 das Ruder rumzureißen. Und die Bewerberlage um die Sommerspiele 2024 zeigt, dass man auf dem richtigen Weg ist. Was Almaty und Peking angeht, ist das IOC nun Gefangener des eigenen Prozesses, aber auch nicht der Alleinschuldige. Das Entsetzen ist groß. Doch wenn wir ehrlich sind: Diese Hypothek mit den Vergabeprozess für die Winterspiele 2022 ist für Bewerber wie Hamburg eine Chance, weil man Olympia in ein westliches Land mit solider Finanzierung vergeben kann. Dann könnte es für Hamburg als B-Stadt eine Chance sein, weil Bewerbungsprozess und Ausrichtung ein anderes Gewicht bekommen. Es wäre keine überteure Hochglanzveranstaltung, für die es eine Entvölkerung ganzer Landstriche und Umweltzerstörung geben würde, sondern der Sport würde ein großes Gewicht bekommen.

ZUR PERSON:Jörg-Uwe Nieland ist seit 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Kommunikations- und Medienforschung der Deutschen Sporthochschule in Köln. Eine Forschungsschwerpunkt von ihm ist die Vergabe von Sportgroßveranstaltungen.

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