IOC und Rogge wegen München-Gedenken in der Kritik

London (dpa) - Die Vorwürfe könnten härter nicht sein: Witwen der Opfer des Olympia-Attentats von 1972 klagten das Internationale Olympische Komitee (IOC) offen des Antisemitismus an.

„Sie haben die elf Mitglieder der olympischen Familie im Stich gelassen. Sie diskriminieren sie, nur weil sie Israelis und Juden sind“, sagte Ankie Spitzer, die Witwe des 1972 ermordeten Fechttrainers André Spitzer. Das IOC mitsamt seinem Präsidenten Jacques Rogge sei „blind und taub“ den Forderungen aus Israel gegenüber, es denke nur an Macht und Geld, schimpfte sie unter dem Applaus vieler im Publikum in den fast voll besetzten Saal der Londoner Guildhall.

IOC-Präsident Rogge hatte in einer nie dagewesenen Geste vor zwei Wochen eine Gedenkminute für die israelischen Opfer im olympischen Dorf abgehalten. Der Moderator des feierlichen Abends, Schauspieler Chaim Topol, würdigte den Ober-Olympier sogar als unermüdlichen Kämpfer für die Aufnahme des geografisch in Asien gelegenen Israels in den Kreis der Nationalen Olympischen Komitees Europas. Rogge hatte zudem 2004 in Athen als erster IOC-Chef an einer Gedenkveranstaltung für die ermordeten Israelis teilgenommen. Das IOC reagierte am Dienstag zugeknöpft auf die heftige Kritik. „Es ist alles gesagt.“

„Ihre Weigerung (...) verletzt die olympischen Ideale von Brüderschaft, Freundschaft und Frieden. Sie erweisen sich als völlig dem Protokoll höriger Mensch, ihr Weg ist Weg der Weigerung und des Leugnens“, sagte Ilana Romano, Witwe eines 1972 getöteten Gewichthebers. Rogge selbst ertrug die Anwürfe, nicht viel weniger hart vorgetragen auch von israelischen Sportdiplomaten wie dem Chef des jüdischen Komitees für die London-Spiele, Mick Davis, regungslos auf seinem Stuhl. In der ehrwürdigen Londoner Guildhall, die jüngst auch Queen Elizabeth II. als einen der Schauplätze für ihr Diamantenes Thronjubiläum gewählt hatte, sollte in geeignetem Rahmen der elf israelischen Opfer des München-Attentats vom 4. September 1972 gedacht werden.

Premierminister David Cameron war unter den 700 geladenen Gästen, und sein Stellvertreter Nick Clegg. Oppositionsführer Ed Miliband gehörte zu den Rednern, auch der deutsche Außenminister Guido Westerwelle. Alle versicherten ihre Solidarität mit Israel, sahen in dem feigen Attentat von München einen Angriff auf den olympischen Geist und versicherten Israel Solidarität im Kampf gegen den Terrorismus und für die Sicherheit seiner Bürger. „Ich versichere Ihnen, dass Deutschland nicht vergessen hat“, sagte Westerwelle - und vergaß auch nicht das Gedenken an das zwölfte Opfer von München. Ein deutscher Polizist war bei einer missglückten Befreiungsaktion umgekommen. Londons Bürgermeister Boris Johnson und Sportminister Jeremy Hunt gehörten zu jenen, die eine von elf Kerzen entzündeten.

Zuvor hatte Rogge bereits bei der obligatorischen Fahnenzeremonie bei der Ankunft des israelischen Teams im olympischen Dorf in London eine Schweigeminute eingelegt - eine Geste, die es zuvor so noch nicht gegeben hatte. Im olympischen Dorf hatte auch das Kidnapping durch palästinensische Terroristen 1972 in München stattgefunden. André Spitzer, der Ehemann der gebürtigen Niederländerin Ankie, war erst wenige Stunden in seinem Zimmer, als die Terroristen ihn zur Geisel nahmen und später umbrachten.

In Israel ist die Trauer über die Geschehnisse von München auch 40 Jahre danach höchst präsent. Israels Sportministerin Limor Livnat schlug sogar den Bogen von Auschwitz nach München: Es gebe Hinweise darauf, dass die palästinensischen Terroristen von München von deutschen Neonazis unterstützt worden waren.

Sie wollen eine Gedenkminute „nicht im Hinterzimmer, sondern bei der Eröffnungsfeier“, wie es Ankie Spitzer formuliert. Unsere Männer sind nicht in Lausanne ermordet worden, sondern bei Olympia“, sagte Ilane Romano. Das IOC lehnte eine Würdigung während einer Eröffnungsfeier geschlossen unter dem Hinweis ab, die Politik müsse bei einer olympischen Eröffnungsfeier außen vor bleiben. Der Kampf der Witwen geht weiter. „Wir geben nicht auf“, hatte Ankie Spitzer schon vor der Eröffnung von London 2012 angekündigt. Und die Zahl der Unterstützer ist groß. 110 000 Menschen haben bereits eine Petition unterschrieben, dazu gehören US-Präsident Barack Obama und die Abgeordneten mehrerer Parlamente in aller Welt.

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