Vor 20 Jahren: Stich siegt in Beckers „Wohnzimmer“

London (dpa) - Der geschlagene Boris Becker kauert enttäuscht auf seinem Stuhl. Der glückliche Sieger Michael Stich hält wenige Meter entfernt den begehrten Wimbledon-Pokal in seinen Händen und strahlt, als würde er am liebsten die ganze Welt umarmen.

Gnadenlos hat der Norddeutsche den dreimaligen Champion am 7. Juli 1991 im Finale abserviert und sich selbst zum Rasenkönig gekrönt. Das erste und bislang einzige Wimbledon-Finale mit zwei deutschen Tennisspielern jährt sich am 7. Juli zum 20. Mal.

„Es war für mich natürlich eine schmerzliche Niederlage. Es war aber nicht die schmerzlichste. Denn ich hatte keine Chance“, erzählt Becker. Ausgerechnet auf dem Centre Court seiner größten Triumphe, auf dem er sich so wohlfühlt, muss sich der Favorit geschlagen geben.

Trotzdem umarmt er nach dem Matchball seinen Rivalen und Davis-Cup-Partner. „Ich habe mich in dem Moment auch wirklich für ihn gefreut. Er war einfach der Bessere an dem Tag“, sagt die frühere Nummer 1 der Tennis-Welt der Nachrichtenagentur dpa. Beste Freunde sind die beiden herausragenden deutschen Profis der 90er Jahre jedoch bekanntlich nie geworden.

Für Becker ist es eins von insgesamt sieben Endspielen auf dem Heiligen Rasen. „Ob meine Gegner nun Schweden, Südamerikaner oder Deutsche waren, das war für mich sekundär. Für mich war es nicht entscheidend, woher Stich kam, sondern dass er ein guter Spieler war“, erklärt der 43-Jährige, den das knapp verlorene Fünf-Satz-Finale gegen Stefan Edberg 1990 mehr gewurmt hat.

Protagonist Stich scheint die erfolgreichen Momente der Vergangenheit im Stillen genießen zu wollen. Dabei ist es gerade für ihn ein besonderer Tag. Als Überraschungsgast betritt er am Endspiel-Sonntag Beckers „Wohnzimmer“. Der geschmeidige Senkrechtstarter trifft auf den etablierten Rasenspezialisten, der coole Elmshorner auf den fluchenden Leimener.

6,73 Millionen Zuschauer fesselt das Duell auf RTL plus durchschnittlich vor den Fernsehern. Auch der damals 15-jährige Rainer Schüttler schaut sich das Spiel an. „Ich habe eher zu Stich gehalten, weil ich es gut fürs deutsche Tennis fand, dass auch mal ein anderer gewinnt“, sagt der Korbacher der dpa. Ihn habe das rein deutsche Endspiel damals angespornt.

Am Ende sinkt der 22-jährige Stich in die Knie und wirft jubelnd den Schläger in die Luft. 6:4, 7:6, 6:4. „Komischerweise hat der Schiedsrichter gesagt, "Game, Set, Match Becker" - das machte das Ganze dann noch verrückter“, erinnert sich Becker zurück.

1991 ist ein Jahr der Deutschen an der Church Road. Denn einen Tag vor dem Finalsieg von Stich gewinnt Steffi Graf gegen die Argentinierin Gabriela Sabatini ihren dritten Wimbledon-Titel. Gemeinsam erscheinen die beiden deutschen Asse zum Champions-Dinner, das traditionell zu Ehren der Sieger veranstaltet wird.

Nachahmer mit der Klasse von Becker und Stich sind im Einzel momentan nicht in Sicht. Florian Mayer, Schüttler und Co. verbuchten in diesem Jahr das magerste Abschneiden seit 1987, kein Deutscher zog in die dritte Runde ein. „Ich hoffe, dass Michael und ich eines Tages gemeinsam ein deutsches Finale anschauen dürfen“, wünscht sich Becker dennoch. „Wer weiß, was in fünf oder zehn Jahren ist.“

Eher traut er es allerdings den aufstrebenden deutschen Damen Andrea Petkovic, Julia Görges und Sabine Lisicki zu, in die Fußstapfen von Steffi Graf als Grand-Slam-Siegerin zu treten. „Die Spielstärke hätten sie.“ Doch egal was noch kommt, der 7. Juli 1991 bleibt zweifellos ein Höhepunkt der deutschen Tennis-Geschichte.

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