Tobias Rau: Aus der Scheinwelt ins Leben

Ex-Nationalspieler Tobias Rau studiert und ist froh, die Bundesliga hinter sich gelassen zu haben. Ein Blick zurück ohne Zorn.

Bielefeld. Es ist kalt und windig an diesem Sonntagmorgen. Exakt 28 Zuschauer haben sich am Kunstrasenplatz des TuS Borgloh versammelt, um bei vier Grad Celsius das Fußballspiel der dritten Herrenmannschaft gegen TV Neuenkirchen zu verfolgen. Die Spieler betreten den Platz — einige mit auffälligem Übergewicht, andere schon leicht ergraut. Niemand würde ahnen, dass ein Ex-Nationalspieler dabei ist. Tobias Rau hat vor zweieinhalb Jahren die glitzernde Welt des Profifußballs gegen das normale Leben eingetauscht.

Mit dem FC Bayern München hat er 2005 die Deutsche Meisterschaft gefeiert, heute spielt Rau in der zweitniedrigsten Amateurklasse. Ein fataler Abstieg? Für Rau nicht. Im Gegenteil. „Es war die absolut richtige Entscheidung. Ich genieße mein neues Leben“, sagt der 29-jährige Lehramtsstudent. Den Spaß am Fußball hat der Aussteiger nicht verloren. Oder besser: Wieder entdeckt. „Es läuft absolut super mit der Truppe“, sagt Rau über seine Teamkollegen. Seit unglaublichen 37 Spielen reiht sich in der Meisterschaft Sieg an Sieg. Auch beim lockeren 9:0 in Borgloh unterstreicht der Spitzenreiter seinen Ruf als Ausnahmeteam.

Rau steuert drei Tore und drei Assists bei, glänzt mit perfekten Pässen und Freistößen — ist aber dennoch einer unter Gleichen. Auf dem Spielfeld wie beim Feiern in der Kabine. „Er ist ein Kumpel-Typ. Ganz ohne Starallüren“, betont Mitspieler Paul Dück. Während zigtausende Talente von der großen Karriere träumen, wünschte sich der frühere Bundesliga-Topverdiener nichts sehnlicher als ein ganz normales Leben. „Ich hatte immer einen Plan B im Hinterkopf. Auch als es noch stetig aufwärts ging“, verrät Rau.

Nach ersten Berufungen in die Jugendnationalmannschaft führt seine Laufbahn über die Regionalliga schon mit 19 Jahren in die Bundesliga. Als Teamchef Rudi Völler den 21-Jährigen im Februar 2003 erstmals in die Nationalmannschaft beruft, scheint der Höhenflug nicht mehr aufzuhalten. Es folgen sieben Länderspiele, darunter seine Galavorstellung gegen Schottland im März 2003. Den Wendepunkt in der Traumkarriere markiert im Sommer 2003 der Wechsel zum deutschen Rekordmeister Bayern München. In der Startruppe kann sich das bescheidene Nordlicht unter den Trainern Ottmar Hitzfeld und Felix Magath nicht entscheidend durchsetzen.

Stetiges Verletzungspech und die Konkurrenz des französischen Nationalspielers Bixente Lizarazu stehen dem dauerhaften Sprung in die Stammelf im Wege. Die Villa im Nobelvorort Grünwald mit dem schicken Audi vor der Tür können Rau nicht trösten. „Das war eine Scheinwelt. Aber zum Glück hatte ich in schlechten Zeiten immer Freunde, die mich aufgefangen haben“, sagt er. Der Frust ist groß, aber psychische Probleme oder gar Depressionen kennt Rau nicht. Parallelen zu seinem Bayern-Kollegen Sebastian Deisler, der seine Karriere nach Depressionen mit 27 Jahren beendete, sieht Rau nicht einmal im Ansatz.

Nach Meisterschaft und Pokalsieg 2005 verabschiedet er sich ohne Groll aus München. Beim Zweitligisten Arminia Bielefeld will er einen Neuanfang starten, doch erneut stoppen ihn Verletzungen. Mit Titeln wie „Rau vor dem Totalabsturz“ schlachtet die „Bild“-Zeitung sein Schicksal aus. „Die Geschichte war frei erfunden.“ Dann fällt auf Anraten seiner Freundin Elsa die Entscheidung für die Aufnahme des Pädagogikstudiums im Sommer 2009. Das war die konsequente Umsetzung des alternativen Lebensentwurfs, „keine Entscheidung gegen den Fußball“. Die Erinnerung an die Profikarriere ist kein Blick zurück im Zorn. Tobias Rau ist aber angekommen. Im neuen Leben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort