Eisschnelllauf: Kritik an Reform-Resistenz der ISU

Berlin (dpa) - Leere Hallen, antiquierte Wettkämpfe, immer weniger Topläufer: Das Eisschnelllaufen befindet sich in der tiefsten Krise seiner über 100-jährigen Geschichte. Nur mit Mühe konnte der Weltverband ISU Ausrichter für die am Freitag in Heerenveen startende Weltcupserie finden.

Doch schon wackelt Veranstalter Erfurt, weil bisher keine Fernsehstation die Kosten für die Übertragung übernehmen will. Die ARD hat sich entschieden, auf den Weltcup in Inzell im Februar zu setzen, damit ist die Austragung der Rennen in der Gunda-Niemann-Stirnemann-Halle im März akut gefährdet. „Die TV-Präsenz des Eisschnelllaufens ist enorm zurückgegangen“, erklärte ZDF-Moderator Wolf-Dieter Poschmann und begründet dies auch mit viel zu späten Termininformationen durch die ISU. Bemühungen, das von allen Seiten kritisierte, längst überholte Wettkampfprogramm zu modernisieren, scheiterten bisher an der sturen Haltung der ISU-Funktionäre um den italienischen Präsidenten Ottavio Cinquanta.

„Es ist unverständlich, dass die attraktiven Massenstartrennen nicht sofort ins WM-Programm aufgenommen wurden“, erklärte Günter Schumacher, Sportdirektor der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft DESG. Ein Vorstoß des deutschen Verbandes wurde beim ISU-Kongress in Kuala Lumpur mit fadenscheinigen Begründungen abgelehnt. Erst nach den Spielen 2014 sollen die packenden Rennen ins WM-Programm befördert werden. „Eine Disziplin wird erst angenommen, wenn damit ein Titel verbunden ist. Wir kennen doch ISU. Sie arbeitet sehr, sehr langsam“, kritisierte der deutsche Chefcoach Markus Eicher.

„Alle reden davon, dass etwas passieren muss, aber keiner tut etwas“, beschwerte sich Eicher und versucht, mit gutem Beispiel voran zu gehen. Die langweiligen Mehrkampf-Meisterschaften wurden reformiert und auf den Sommer verlegt. „Ein Erfolg“, wie Eicher sagt. Künftig will der Inzeller auch die Einzelstrecken-Titelkämpfe im November von drei auf zwei Tage verkürzen und das nationale Massenstartspektakel gleichfalls im Sommer platzieren. Am vergangenen Wochenende mussten die Frauen-Rennen in Berlin abgesetzt werden, weil mit Blick auf den Weltcup ganze vier Teilnehmerinnen gemeldet hatten.

Claudia Pechstein, die bei der Weltcup-Premiere der Massenstartrennen in der Vorsaison stets auf vorderen Plätzen landete, kennt die starre Haltung der ISU seit ihrer Sperre. Dennoch lässt sie sich nicht vom Kurs abbringen und geht mit Engagement auch die Rennen in der neuen Disziplin an. Neben Langstrecklerin Stephanie Beckert (Erfurt) und Sprinterin Jenny Wolf gehört die 40 Jahre alte Berlinerin zu den deutschen Hoffnungen in der bevorstehenden Saison.

Auch in den Niederlanden haben Experten längst den Niedergang ihrer einstigen Lieblingssportart ausgemacht und versuchen verzweifelt, dagegen anzusteuern. Doch die Eintrittspreise im Mutterland sind viel zu hoch, das Interesse der Fans längst nicht mehr so groß wie noch vor zehn Jahren. „Die ISU hat Angst vor Veränderungen“, hatte der dreimalige Olympiasieger Ard Schenk, der von 1998 bis 2006 Mitglied der Technischen Kommission war und aus Ärger über diese konservative Haltung den Weltverband verließ, unlängst beklagt.

Nach seinem fünften Mehrkampf-Titel hatte sich auch Rekord-Champion Sven Kramer für eine Erneuerung stark gemacht. „Die Männer müssen weg“, sagte der prominente Niederländer vom privaten TVM-Team, das jetzt ankündigte, sich als Geldgeber nach Sotschi 2014 aus dem Eisschnelllauf zurückzuziehen. Vor allen Cinquanta und der niederländische ISU-Vizepräsident Jan Dijkema verhinderten die notwendigen Reformen.

Der Mehrkampf, in dem seit 1893 WM-Titel vergeben werden, habe in seiner heutigen Form keine Zukunft. „Kein Wunder, dass nur wenige Zuschauer kommen. Da muss schnell etwas passieren. Es gibt zu viele uninteressante Läufe“, meinte der Olympiasieger. Schon im vorigen Winter hatte er vorgeschlagen, die langatmigen 10 000 durch die 3000 Meter zu ersetzen.

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