Gold-Skispringer Recknagel wird 75: Arbeit ist Therapie

Berlin (dpa) - Sein geschichtsträchtiger Olympiasprung liegt bereits 52 Jahre zurück. Aber die Leidenschaft, mit der Helmut Recknagel 1960 in Squaw Valley (USA) erster deutscher Olympiasieger im Skispringen wurde, hat er nicht verloren.

Am 20. März feiert der gebürtige Thüringer, der noch wie Superman mit nach vorn gestreckten Armen zu Tal flog, seinen 75. Geburtstag.

„Mit 80 ist man erst alt, soll ich schon Angst haben mit 75?“, fragt der quirlig wirkende einstige Ausnahmeathlet im Interview. Und natürlich geht er noch ein bisschen arbeiten - „nach Wichtigkeit“, wie er sagt. „Arbeit ist Therapie für meine Gesundheit. Das gilt für alle“, meint Recknagel. Noch immer hält er sein Springergewicht von 70 Kilo. Zweimal in der Woche geht er zum Herz-Kreislauftraining. Und auf dem Speiseplan stehen viel Obst und Gemüse.

Skier aus seiner Wettkampfzeit hat er allerdings nicht mehr. Sein letztes Paar überließ er kurz vor seinem Geburtstag dem Stadtmuseum in Zella-Mehlis in seiner Thüringer Heimat. Ein weiteres Paar hatte er zu seinem 70. Geburtstag dem ältesten Skimuseum der Welt am Holmenkollen geschenkt.

Auf der berühmten Schanze über der norwegischen Hauptstadt hatte Recknagel 1957 vielbeachtet als erster Mitteleuropäer die Skandinavier im „Mekka des Skisports“ besiegt. Der Holmenkollen wurde zur Stätte seines größten persönlichen Triumphes. Drei Jahre später eroberte er gegen die Favoriten aus den traditionellen Skisprungländern Nordeuropas in Squaw Valley erstmals auch den Olympiasieg - in einer gesamtdeutschen Mannschaft, trotz der deutschen Teilung.

Wo er seinen 75. feiern wird, weiß Recknagel nicht. „Meine Frau hat eine Überraschung. Ich weiß nicht, wo sie mit mir hingeht, ich will auch gar nicht fragen“, sagt er schmunzelnd. Fest stehe nur: „Ich bin nicht in Berlin.“ Dort soll es aber ein paar Tage später eine Feier mit Freunden, Familie und Weggefährten geben.

Zwei Monate später steht noch ein Höhepunkt auf dem Familienprogramm. Dann feiert Recknagel, der eine Tochter und zwei Enkel hat, Goldene Hochzeit mit seiner Frau Eva-Maria. „Das ist mein Himalaya“, schwärmt er nach 50 Jahren Ehe. „Dass man das erlebt, ist eine tolle Sache.“

Der einstige Superspringer, der Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre dem deutschen Skisprungsport weltweit Respekt verschafft hat, wurde nach dem Ende der DDR wie viele Ostdeutsche arbeitslos. Ende 1990 verlor der promovierte Tierarzt seinen Job und gründete schließlich 1996 im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg ein Sanitätsfachgeschäft. Nach seinem 70. hat er das größer gewordene Unternehmen abgegeben. „Ich bin noch der Mann im Hintergrund, habe eine beratende Funktion.“

Sportlich würde Recknagel nichts anders machen. „Ich würde wieder Skispringer werden“, ist sich der Weitenjäger sicher. Fünf Mal hat er einst die Skiflugwoche gewonnen, den Vorgänger der Skiflug-WM, zwei Mal war er Weltmeister, mit drei Gesamtsiegen führte er lange die Bestenliste der Vierschanzentournee an.

Angebote zu DDR-Zeiten, in den Westen zu gehen, schlug er aus. Seine Anhänger, die Familie und die Thüringer Heimat hätten ihn in der DDR gehalten. Obwohl es ihn damals immer gewurmt habe, seiner Frau die Stätten seiner Triumphe nicht zeigen zu können. Sie durfte wegen des West-Reiseverbots für DDR-Normalbürger nie mitfahren.

Nach ein paar dürren Jahren sieht er die heutigen deutschen Skispringer auch wieder optimistischer. Bei den Olympischen Spielen in Sotschi 2014 ist die Mannschaft in seinen Augen „auf jeden Fall medaillenverdächtig“. Allerdings findet er: „Wir brauchen noch einen besseren vierten Mann“ und die Springer müssten mehr auf Risiko gehen, mehr Selbstvertrauen haben. Dann heißt es: „Alles oder nix!“

Pünktlich zu seinem Geburtstag ist jetzt eine aktualisierte Neuauflage seiner Autobiografie erschienen: Helmut Recknagel: „Eine Frage der Haltung“ (Eulenspiegelverlag, 14,95 Euro).

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