Wyluddas Comeback: „Ein Schritt nach vorne“

Halle/Saale (dpa) - Erst gab es eine Umarmung von Vater Gerhard, dann ein Küsschen von Mutter Ellen und schließlich waren die beiden kleinen Hunde Akim und Balu mit feuchten Schmatzern an der Reihe. Ilke Wyludda genoss die Glückwünsche zum Comeback im Diskusring.

Die Olympiasiegerin von 1996 startete erfolgreich in ihre zweite Karriere als Behindertensportlerin - auch wenn es bei den deutschen Hallenmeisterschaften am Samstag nicht zu einem Podestrang reichte. Erfolg misst die 42-Jährige derzeit nämlich nicht in Medaillen. „Das war ein Schritt nach vorne“, betonte Wyludda, die in ihrem Leben viele Rückschläge erlitten hatte und 2010 wegen einer Infektion den rechten Unterschenkel verlor. Beim ersten Wettkampf 2012 hatte sie in ihrer Heimatstadt Halle/Saale wieder Grund zur Freude.

„Wenn Sie Bestleistung werfen, dann freuen Sie sich doch auch“, meinte Wyludda etwas irritiert. Sie musste ihr breites Grinsen erklären, mit dem sie kurz zuvor die Gratulationen zum Diskuswurf auf 25,54 Meter entgegengenommen hatte. Bei einem Wettkampf im November 2011 in Dubai - der vor allem der Klassifizierung ihrer Behinderung diente (F58) - war ihr Versuch knapp fünf Meter kürzer. Auch im Kugelstoßen (8,31 Meter) toppte Wyludda den eigenen Rekord deutlich.

„Ich bin mit den derzeitigen Ergebnissen sehr zufrieden“, sagte sie und ergänzte: „Das war ein reiner Aufbauwettkampf.“ Auch Trainer Gerhard Böttcher bezeichnete die Meisterschaften als „Vorgeplänkel“. Für die internationale Spitze „reicht das noch nicht“, weiß Wyludda.

Aber die Formkurve stimme. An die Paralympics will sie noch keinen Gedanken verschwenden, auch wenn sie ständig darauf angesprochen wird. „Ich weiß nicht, warum mich jeder nach London fragt“, meinte Wyludda leicht verärgert. „Das ist nicht mein Ziel. Es geht um mich und um meine Leistungen.“ Vor allem will sie „schön weit werfen“.

Der Wiedereinstieg ins Sportlerleben ist schwer. Wyludda arbeitet als Ärztin in einem Krankenhaus in Halle, daneben schuftet sie rund zehn Stunden in der Woche beim Training. Vor ihrem Auftritt am Samstag wirkte sie angespannt, auch wenn sie das nie zugeben würde („Nervös war ich auf keinen Fall“). Im Einwerfen flog die erste Scheibe prompt ins Netz - die zweite dann an die 25-Meter-Marke. Nach sechs Würfen fuhr Wyludda im Rollstuhl strahlend aus dem Ring.

Inmitten von mehreren Dutzend Zuschauern, Freunden, Teamkollegen und Journalisten auf der Außenanlage des Sportzentrums Brandberge freute sich auch Gerhard Böttcher. „Wir hatten uns 25,5 Meter vorgenommen“, sagte der Coach, der Wyludda zu Olympia-Gold geführt hatte. „Das war heute wieder eine deutliche Steigerung“, befand auch Bernd Mädler, der Bundestrainer für die Wurfdisziplinen, die im Sitzen ausgeführt werden. „Es ist stark, dass sie sich wieder für den Sport motiviert.“

15 Jahre lang gehörte Wyludda zur Diskus-Weltspitze. Ebenso voll wie ihr Trophäenschrank war auch die Krankenakte. Patellasehnen-, Kreuzband- und Achillessehnenrisse quälten die gebürtige Leipzigerin, mehr als ein Dutzend Operationen musste sie über sich ergehen lassen. 2001 trat sie vom Leistungssport zurück, wegen anhaltender Schmerzen wurde sie danach aber mehrfach an Knie und Unterschenkel operiert.

Nach Komplikationen und einer Bakterieninfektion musste ihr am 9. Dezember 2011 das rechte Bein vom Ende des Oberschenkels an amputiert werden. Ihren Ehrgeiz hat sie nicht verloren. „Jetzt steht erstmal wieder Training an“, sagte sie am Samstagabend in der Halle, in der sie unter der Woche regelmäßig schwitzt, „und dann werden wir sehen“.

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