Analyse: Bürger wollen Netze zurück

Berlin (dpa) - Privat vor Staat hat ausgedient. Überall kaufen Kommunen Stromnetze, Müllabfuhr oder Wasserwerke zurück. Doch ist die öffentliche Hand der bessere Unternehmer?

Der Strom soll wieder ein Berliner sein. Und ein Hamburger, ein Warendorfer oder ein Stuttgarter. Und bitte auch nicht kohlrabenschwarz, sondern öko-grün. Überall in Deutschland kämpfen Bürger dafür, dass ihre Kommunen den privaten Stromanbietern den Saft abdrehen. Sie wollen, dass die Städte das Rad zurückdrehen, die Strom- und Gasnetze zurückkaufen und eigene Stadtwerke gründen. Günstigerer Strom wird dabei aber wohl nicht herauskommen.

Doch was wollen die Initiativen dann? „Kommunale Betreiber müssen gemeinwohlorientiert handeln, können Leute vor Ort beraten und echten Ökostrom anbieten“, hofft Stefan Taschner vom Berliner Energietisch, einem Bündnis aus Naturschützern, Demokratieverfechtern und Alternativen, das von SPD, Grünen und Linken unterstützt wird. Ehrlichkeit, Wirtschaftlichkeit und Transparenz statt maximaler Rendite sind die Schlagworte. Das Ziel: Stadtwerke für Berlin.

Für den Rückkauf eines Teils der Wasserwerke sind die Weichen in der Hauptstadt bereits gestellt. Beim Strom haben Koalitionspartner zuletzt zähneknirschend einen Kompromiss gefunden. Eigentlich wollte die SPD Stadtwerke gründen, die CDU lehnte eine Beteiligung ab. Jetzt bewirbt sich die landeseigene „Berlin Energie“ zumindest für die 2014 auslaufende Konzession - neben großen privaten Versorgern wie Vattenfall oder der chinesischen State Grid International.

Anderswo ist man schon weiter: Seit 2007 wurden nach Zahlen des Deutschen Städte- und Gemeindebunds mehr als 60 Stadtwerke gegründet. Mehr als 170 Mal übernahmen Kommunen oder kommunale Unternehmen Konzessionen. Der Verein „Mehr Demokratie“ zählt 24 Bürgerbegehren, die den Verkauf von Stadtwerken stoppten oder rückgängig machten. In Hamburg, wo CDU und Grüne 2009 ein städtisches Energieunternehmen gründeten, dürfen die Bürger bald per Volksentscheid über den Kauf von Strom-, Gas- und Fernwärmenetz abstimmen. Rekommunalisierung ist in der Krise bundesweit zur Mode geworden.

Für viele Kommunen ist das eine Trendwende. In den 90er Jahren, als sie wie heute Haushalts-Sorgen plagten, brachte Privatisierung schnell frisches Geld. Damals aber habe man zu kurzfristig gedacht, erläutert Volkswirt Jens Libbe vom Deutschen Institut für Urbanistik. „Viele Kommunen haben so auf langfristige Erträge verzichtet.“ Jetzt, wo es finanziell wieder knapp wird, wollen sie Stromversorgung, Wasserwerke, Kläranlagen oder Müllabfuhr zurück. Denn mit Stadtwerken lässt sich gutes Geld machen.

Doch sind Länder und Kommunen wirklich die besseren Unternehmer? „Wir glauben, dass sie gerade in Sachen Energie genauso gut wirtschaften können wie Private“, sagt Taschner. Doch Rekommunalisierung ist nicht ohne Risiken. Bald stehen hohe Investitionen in intelligente Netze an. Die neuen Stadtwerke müssen sich zudem auf einem ganz anderen Markt behaupten. Wo früher die Kunden bei Monopolen nicht weglaufen konnten, tobt seit der Trennung von Netz und Vertrieb der Wettbewerb unter den Anbietern.

Genau deswegen könne der Stadtwerke-Strom nicht besonders billig werden, sagt Taschner. Er hofft zumindest auf einen „attraktiven Preis“ - und setzt auf Lokalpatriotismus. „Die Menschen vertrauen Stadtwerken, die Bindung ist extrem hoch.“ Viele Berliner wollten eben, dass auch ihr Strom ein Berliner sei.

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