Analyse: Das Schreckgespenst von der blockierten Republik

Berlin (dpa) - Jürgen Hölzinger findet, dass bei der Schweiz mal so richtig die Schrauben angezogen werden müssen. Mit einem riesigen Schraubenschlüssel steht der Arzt am Freitag vor dem Bundesrat und protestiert gegen das Steuerabkommen mit der Schweiz.

Für ihn ist das der reinste Käse. „Wir brauchen Steuern, sonst sind wir pleite“, sagt er. „Es kann nicht sein, dass die Leute, die das meiste Geld verdienen, sich nicht an der Finanzierung von Schulen, Infrastruktur und sozialen Aufgaben in Deutschland beteiligen.“ Das Abkommen sei ein einziges Schlupfloch und bestrafe noch nicht mal Steuersünder.

Drinnen folgt die Mehrheit der Länder dieser Auffassung und stoppt das Projekt von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Damit kommt es vorerst nicht dazu, dass auf das Schwarzgeld deutscher Anleger in der Schweiz einmalig eine Pauschalsteuer zwischen 21 und 41 Prozent an den deutschen Fiskus überwiesen werden muss - anonym und rückwirkend für zehn Jahre. Die von Schäuble erwarteten Einnahmen von angeblich bis zu zehn Milliarden Euro fließen also erstmal nicht.

Der Stopp des Steuerabkommens fügt sich ein in eine immer länger werdende Liste von Vorhaben, die von dem rot-grünen Widerstand im Bundesrat aufgehalten werden. Rund zehn Monate sind es noch bis zur Bundestagswahl - und statt Entscheidungen landet immer mehr im Vermittlungsausschuss von Bund und Ländern. Auch das Steuerabkommen. Es kann zwar dort nicht nachgebessert werden, weil es in der Schweiz das gesamte parlamentarische Verfahren bereits durchlaufen hat. Aber womöglich kann es ja durch eine Paketlösung mit anderen gestoppten Gesetzen eine Rettung des Prestigeprojekts geben. Am 12. Dezember dürfte es nun eine Nachtsitzung im Vermittlungsausschuss geben.

Gibt es eine blockierte Republik? Denn auch ein Steuerbonus für energetische Gebäudesanierungen, das umstrittene Meldegesetz und die von Union und FDP geplanten Steuerentlastungen hängen in der Schwebe. „Mit ihrer Blockadehaltung im Bundesrat schadet die SPD denjenigen, die eine Steuerentlastung bitter nötig hätten“, kritisiert Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer mit Blick auf den Widerstand gegen Steuerentlastungen von jährlich sechs Milliarden Euro. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe warnt in der „Neuen Westfälischen“, jetzt schon in den Wahlkampfmodus umzuschalten und Totalverweigerung zu betreiben.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann weist die schwarz-gelben Blockadevorwürfe zurück - und betont mit Blick auf das Deutsch-Schweizer Steuerabkommen: „Der SPD geht es im Bundesrat um elementare Gerechtigkeitsfragen. Die kann man auch mit unmoralisch hohen Geldangeboten an die Länder nicht lösen“. In der Tat haben SPD und Grüne das Abkommen von Anfang an skeptisch gesehen, sie dringen auf einen strengeren Vertrag, nach dem Vorbild der USA.

Von einer Totalblockade kann man schon deshalb nicht sprechen, weil sich SPD und Grüne bei Themen wie der Euro-Rettung durchaus kooperativ zeigen und Union und FDP meist unterstützen. Jede Opposition hat aber gerade in den Monaten vor der Bundestagswahl Gestaltungsspielräume meist maximal ausgenutzt, wenn die Regierung keine Mehrheit mehr in der Länderkammer hatte. Kompromisse werden immer schwerer, je näher die Wahl rückt. Aber zumindest für die Autofahrer gibt es am Freitag gute Nachrichten: Ab 2013 müssen in Echtzeit die Benzinpreise gemeldet werden, das macht den Weg frei für Apps mit Informationen über die günstigste Tankstelle im Umfeld.

Doch der Vorwahlkampf hat längst begonnen, das zeigte auch die Generalaussprache über den Etat des Kanzleramts am Mittwoch im Bundestag. Während SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sagte, jede Frittenbude werde besser gemanagt als die Energiewende, stellte Kanzlerin Angela Merkel mit Chuzpe fest, Deutschland werde gerade von der besten Bundesregierung seit der Wiedervereinigung geführt. „Eigenpropaganda allein reicht nicht“, sagt Steinbrück dazu.

Das Problem ist die Landtagswahl in Niedersachsen am 20. Januar. Die Wahl wird zum Signal für die Bundestagswahl im Herbst kommenden Jahres hochstilisiert. Die SPD denkt besonders an das Jahr 1998. Am 1. März kam Gerhard Schröder damals auf 47,6 Prozent - der Weg zur Kanzlerkandidatur war frei. Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil soll nun als SPD-Spitzenkandidat den Startschuss für einen rot-grünen Machtwechsel im Bund geben. Nach Umfragen würde die SPD derzeit zwar deutlich hinter der CDU von Ministerpräsident David McAllister landen. Aber es könnte das Kuriosum eintreten, dass FDP, Linke und Piraten allesamt knapp an der 5-Prozent-Hürde scheitern, bei drei Parteien im Landtag würde es für Rot-Grün wohl reichen.

Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) muss feststellen, dass wegen der nahenden Niedersachsenwahl ein schon sicher geglaubter Konsens für einen Neustart bei der Atommüll-Endlagersuche plötzlich ungewiss ist. Das auf Jahrzehnte angelegte Projekt soll nun nach der Wahl auf Wiedervorlage kommen - bei Rot-Grün in Hannover könnten Maximalforderungen der Opposition eine Einigung weiter erschweren. Gleiches gilt für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) - eigentlich soll eine Kappung der Ökoenergieförderung die Stromkosten der Bürger stärker im Zaum halten, doch eine zügige Einigung ist fraglich.

Die personifizierte Blockadepolitik war übrigens das Verhalten von Oskar Lafontaine 1997/1998. Der über den Bundesrat geführte Machtkampf nahm in der Endphase der Ära Kohl unter dem damaligen SPD-Chef erbitterte Züge an. Der Konflikt gipfelte im Scheitern der großen Steuerreform von Finanzminister Theo Waigel (CSU). Auch in der Rentenpolitik kam statt eines großen, notwendigen Wurfs nur ein kleiner Kompromiss zustande. Die Folge: Ein massiver „Reformstau“.

Vor der Bundestagswahl 2005 war es umgekehrt. Seit 2002 riefen die unionsgeführten Länder mehr als 90 Mal den Vermittlungsausschuss an. Damit habe es so viele Vermittlungsverfahren wie noch nie zuvor in einer Legislaturperiode gegeben, klagte der SPD-Politiker Wilhelm Schmidt damals. Das Verhalten ziele „schon in Richtung Blockade“. Unions-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen konterte süffisant: „Die Union ist die konstruktivste Opposition, die es je gegeben hat.“

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