Analyse: Ein Präsident spricht als Vater

Newtown (dpa) - Vor der Sandy-Hook-Grundschule in Newtown stehen 26 Weihnachtsbäume. Sie sind über und über mit Spielsachen beladen für Kinder, die nie damit spielen werden.

„Ruht in Frieden, Ihr kleinen Engel“, steht auf einem Schild. Newtown trauert um die Opfer des Amoklaufs vom Freitag und der Präsident trauert mit. „Wir sind hier, um 20 wunderbare Kinder und sechs großartige Erwachsene zu betrauern, die in einer Schule starben, die jede Schule in Amerika hätte sein können“, rief Obama den Trauernden am Sonntagabend (Ortszeit) zu. „Überall im Land weinen wir mit Euch.“

Als er die Namen der getöteten Kinder vorliest, geht ein Schluchzen durch den Saal. „Eure verletzten Herzen kann niemand heilen. Aber welche Hilfe wir auch immer geben können, um Euer Los zu lindern, werden wir geben! Newtown, Du bist nicht allein.“ Die Stadt habe sich vorbildlich verhalten. „Im Angesicht des unbeschreiblichen Bösen habt Ihr aufeinander acht gegeben.“

Etwa 900 Menschen haben sich im Auditorium einer High School versammelt, um Obama zu hören und Trost zu finden. „Ich habe den Präsidenten noch nie gesehen“, sagt Lauren. „Und ich habe ihn auch heute nicht gesehen.“ Die 17-Jährige wirkt nicht enttäuscht, diesmal nicht. „Normalerweise hätte ich es als Ehre empfunden, wenn der Präsident in eine so kleine Stadt wie unsere kommt. Aber doch nicht wegen...“ Sie stockt. „Es ist alles so traurig.“

Obama traf auf ein Städtchen, das trauert und diese Trauer auch zeigt. Überall hängen Plakate, auf den meisten steht „Betet für Newtown“ oder auch „Betet für die Kinder“. Im örtlichen Diner ist der Weihnachtsschmuck mit schwarzen Bändern überhängt, die Kellnerinnen tragen schwarze Schleifen an ihren Schürzen. Nicht weit davon stehen 20 gebastelte Engel auf einem Rasen, Blumensträuße, Kerzen und immer wieder Teddybären finden sich an fast jeder Ecke der kleinen Stadt.

„Es ist gut, dass der Präsident da war“, sagt Nancy Elis. „Er ist ein Vater und er fühlt jetzt genau wie wir.“ Die 66-Jährige hat selbst drei Kinder in Newtown großgezogen - und auf die Grundschule geschickt. „Selbst in Deutschland trauern die Menschen mit uns“, fragt sie ungläubig und kann vor Tränen kaum sprechen. „Es hilft ein bisschen und gibt Trost, dass so viele Menschen an uns denken. Zumindest uns hilft es. Die Familien, die ein kleines Kind verloren haben, können sicher durch nichts Trost finden.“

Vermutlich auch durch Obama nicht. Was soll schon einen Vater trösten, der vielleicht am Morgen seine Tochter bei der Schule abgesetzt hat und nie wiedersah? Wie kann eine Mutter Erleichterung finden, die vielleicht noch für den kleinen Sohn Schulbrote gemacht hat, die nie gegessen wurden?

„Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich will es mir nicht vorstellen“, sagt Bella Cristovao. Sie schiebt ihren Sohn Danny im Kinderwagen an den Blumen und Kerzen vorbei und der Eineinhalbjährige lächelt ein bisschen scheu. „Lasse uns gut auf ihn aufpassen“, sagt sie leise zu ihrem Mann und geht langsam davon. Eine andere Mutter zeigt ihrem vielleicht dreijährigen Sohn die mit Spielsachen geschmückten Weihnachtsbäume. Als er fragt, ob die Kinder denn damit spielen kommen würden, bricht sie in Tränen aus und zieht das Kind fest an sich. Der Kleine lässt es etwas ratlos mit sich geschehen.

Am Montag sollten in Newtown die ersten Beisetzungen stattfinden, zuerst die von Noah Pozner. Seine Zwillingsschwester hat das Massaker überlebt. Er starb am siebten Tag von Chanukka, dem jüdischen Lichterfest. Noah war das jüngste der getöteten Kinder. Erst vor drei Wochen hatte er seinen sechsten Geburtstag gefeiert.

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