Analyse: Ein schwacher König und seine Mörder

Stuttgart (dpa) - Diese beiden Granden der Liberalen kennen die Macht der Bilder. Einige Minuten vor ihrem derzeitigen Parteichef kommen Hans-Dietrich Genscher und Rainer Brüderle Arm in Arm ins Foyer der Stuttgarter Oper.

Der 85-jährige Genscher trägt seinen gelben Pullunder, Brüderle schmiegt sich fast an ihn. Die Botschaft: Zwischen uns passt bei der Neuaufstellung der Partei kein Blatt. Dann gehen die beiden zum Treppenaufgang und warten mit den bunt verkleideten Sternsingern auf Philipp Rösler. Der huscht im grauen Anzug zur Tür hinein, wird in die Mitte genommen und wünscht Genscher leise ein frohes neues Jahr.

Diese Szene ist am Sonntag der Auftakt für ein denkwürdiges Dreikönigstheater der ums Überleben kämpfenden FDP. Die Rolle des Königsmörders übernimmt Dirk Niebel. Der Ex-Fallschirmjäger ruft vor 1400 Gästen natürlich nicht direkt zum Putsch gegen Rösler auf. Niebel stellt es geschickter an. Der Entwicklungsminister befindet sich nach eigenen Worten quasi im Gewissensnotstand.

Schaut her, liebe Parteifreunde, ich kann nicht anders, auch wenn ich zum Sündenbock werde, lautet Niebels Botschaft. „Wer Licht im Dunkel macht, zieht Moskitos auf sich - das kann ich aushalten.“ Der schlimme Zustand der FDP zerreiße ihn innerlich. Die FDP brauche deshalb nach der Niedersachsen-Wahl eine neue Führungsmannschaft. Bis zum Parteitag Anfang Mai könne man nicht warten. Der erkältete Rösler muss sich das anhören und sitzt fast regungslos auf seinem Platz neben Brüderle.

Über Niebels Motive wird in der Partei wild spekuliert. Seine Chancen auf den Chefposten gelten als ziemlich aussichtslos. Eher treibe Niebel die Sorge um, was aus ihm nach der Bundestagswahl werde, meint ein Abgeordneter. Oder es gibt hinter den Kulissen längst einen Deal, wie die Rösler-Posten verteilt werden sollen?

Im Sinne Niebels war schon am Morgen im Präsidium über ein Vorziehen des Parteitags diskutiert worden, der eigentlich im Mai in Nürnberg stattfinden soll. Ohne Ergebnis. Es gibt kaum freie Hallen. Auch muss die mit Millionen verschuldete Partei jeden Cent umdrehen, damit ihr im Wahlkampf nicht die Munition ausgeht.

Daran mangelt es Fraktionsboss Brüderle nicht, der nach Niebel seine Dreikönig-Premiere als Redner feiert. Der 67-jährige Pfälzer legt, leicht abgewandelt, seinen Parteitags-Hit aus Karlsruhe („Wer hat's gemacht, wir ham's gemacht“) wieder auf. „Die FDP hat die CDU besser gemacht“, ruft er im Stakkato in den Saal.

Ansonsten lobt Brüderle die FDP-Kabinettsriege, auch Rösler als Wachstums- und Entlastungsminister. Geklatscht wird an dieser Stelle nicht. „Stützen statt stürzen“ ist seit Monaten die Devise des Fraktionschefs. Nun aber lässt er sich doch einen kurzen Moment in die Karten schauen. Dass er nämlich bereit ist, wenn die liberale Familie ihn an die Spitze ruft: „Ich weiß, ich bin nicht alleine, Sie werden mit mir kämpfen!“ Sehr viel „ich“ und ein „mir“ - kein „uns“.

So ist seit Sonntag immer fraglicher, ob Rösler die FDP in die Bundestagswahl führt. Der Niedersachse will sich am Ergebnis der Landtagswahl am 20. Januar in seiner Heimat messen lassen. Rösler hofft im Endspurt auf die Wende, auf viele Zweitstimmen für die FDP, um Schwarz-Gelb und sich selbst an der Macht zu halten.

Die Attacken von Niebel & Co., so kurz vor einer wichtigen Wahl, hat Rösler dem Vernehmen nach ziemlich fassungslos registriert. Er haut aber nicht auf den Tisch. Das ist nicht sein Stil - aber auch seine Schwäche. Die scharfe Kritik an der „Profilierungssucht“ Einzelner - im Redetext noch drin - spricht Rösler in der Oper nicht aus.

Ob er tatsächlich noch kämpft oder schon resigniert hat, darüber gehen die Meinungen in der Partei auseinander. Mit einem Wahlsieg in Niedersachsen könnte der bald 40-Jährige erhobenen Hauptes auf eine erneute Kandidatur für den Vorsitz verzichten. Das könnte ihm Ministeramt und Vizekanzlerwürden retten.

Bleibt er stur, wird es womöglich tragisch. Ein bisschen wie am Sonntag. Weil Niebel, Brüderle & Co. ihre Redezeit überziehen, ist Rösler spät dran. Bei seinem großen Plädoyer für Glaubwürdigkeit und Geschlossenheit in der FDP hat der einzige Fernsehsender, der aktuell im TV berichtete, seine Live-Übertragung schon beendet.

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