Analyse: Europas Dilemma und Amerikas Rat

Frankfurt/Main (dpa) - Mario Draghi demonstriert Stärke. Wird das reichen, um den Euro zu retten? Die US-Notenbank Fed setzt als Krisen-Feuerwehr große Mengen Löschwasser ein - im Gegensatz zur EZB.

Ökonomen betonten: Die Vorzeichen sind völlig andere.

Viel hilft viel, so könnte man salopp den Kurs der US-Notenbank umschreiben. Mit einer Geldschwemme und Zinsen nahe Null stemmen sich die Währungshüter um Ben Bernanke gegen die Konjunkturflaute. Immer wieder bekommen die Europäer von der anderen Seite des Atlantiks vorgehalten, sie seien im Kampf gegen die Krise zu zaghaft. Der Italiener Mario Draghi an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) ist bemüht, das Ruder herumzureißen. Auch die EZB ist grundsätzlich zu weiteren Stützungsmaßnahmen bereit.

Europa sei noch weit von einer langfristigen Lösung der Schuldenkrise entfernt, befand Bernanke vor zwei Wochen in einer Anhörung vor einem Ausschuss des US-Abgeordnetenhauses. Die Möglichkeit, dass sich die Lage in Europa noch verschlechtere, sei weiterhin eine „bedeutende Gefahr“ für den globalen Wirtschaftsausblick, urteilte der Fed-Chef.

Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman legte in einem zwei Tage vor der EZB-Ratssitzung ausgestrahlten ARD-Interview nach: Der Kauf von Staatsanleihen durch die EZB sei „notwendig, wenn man den Euro retten will“, sagte der US-Ökonom. „Niemand möchte daran schuld sein, dass der Euro scheitert. Genau diese Drohkulisse muss Draghi für sich nutzen“, erklärte Krugman.

„Die Amerikaner haben in einem wesentlichen Punkt recht: Um eine Finanzkrise in den Griff zu bekommen, muss die Zentralbank handeln“, sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Nach dem Lehman-Crash Mitte September 2008 zum Beispiel habe erst die Entscheidung der Fed zum Aufkauf von Bonds in großem Stil im März 2009 für Beruhigung an den Märkten gesorgt.

Die EZB müsse „Anlegern das Vertrauen geben, dass alle Länder, die ihre Hausaufgaben machen, im Euro gehalten werden“, betont Schmieding. Das bedeute nicht, ohne Ende Geld in Staatsanleihen von Spanien, Italien und Co. zu stecken. Vielmehr müsse die EZB glaubhaft machen, dass sie alles tun werde, um den Euro zu retten, erklärte Schmieding: „Das ist die Sprache, die Spekulanten verstehen.“

Der Ansatz der Notenbanken jedoch ist oft völlig verschieden. „Die Fed hat explizit ein doppeltes Mandat: Stabile Preise und möglichst hohen Beschäftigungsstand. Man löscht dann dort eben das Feuer, das am heißesten brennt“, erklärt Bernd Weidensteiner, Notenbankexperte der Commerzbank. Im zweiten Quartal schwächte sich die Konjunktur in den USA weiter ab, das könnte auch die Probleme auf dem Arbeitsmarkt der weltgrößten Volkswirtschaft verschärfen.

Weil in den USA nach Expertenangaben etwa 70 Prozent der Unternehmensfinanzierung über den Kapitalmarkt laufen und nur etwa 30 Prozent über Banken - in Europa ist das Verhältnis umgekehrt - kann die US-Notenbank über den Kauf von Staatsanleihen direkter als die EZB Liquidität in den Markt pumpen und die Wirtschaft unterstützen.

Zum Vergleich: Während sich die bisherigen Anleihenkäufe der Federal Reserve (Fed) auf etwa 2600 Milliarden US-Dollar (2120 Mrd Euro) summierten, hat die EZB nach den letzten veröffentlichten Daten Staatsanleihen im Wert von 211,5 Milliarden Euro in der Bilanz. Während die Fed nur US-Papiere kauft, hat es die EZB mit Anleihen aus mehreren kriselnden Eurostaaten zu tun, für die Investoren derzeit sehr hohe Risikoprämien verlangen. Dazu kommt: Im Falle der Fed-Interventionen haften Amerikaner für Amerikaner. Greift die EZB ein, haften zum Beispiel Deutsche für Italiener.

Ein Dilemma - nicht nur für die Währungshüter, sondern auch für die Politik in Europa. Über die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagt US-Ökonom Krugman: „Sie ist gefangen zwischen den erbarmungslosen Logiken der Krise und der deutschen Politik. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder genehmigt sie die Schritte, die nötig sind, um den Euro zu retten - dann ist sie innenpolitisch erledigt. Oder der Euro bricht zusammen - in dem Fall wäre sie auch erledigt. Eine schreckliche Situation für sie.“

Der Eurozone das US-Modell einer noch freigiebigeren Geldpolitik überzustülpen, halten Volkswirte für keinen gangbaren Weg. „Das sind völlig andere Marktvoraussetzungen, das kann man nicht einfach übertragen“, erklärt Commerzbank-Ökonom Weidensteiner. „Wer Recht hat, wird sich erst im Nachgang erweisen. Klar ist, dass die EZB das wesentlich schwierigere Problem zu lösen hat: Es geht hier nicht um eine Wirtschaftskrise, sondern um eine Schuldenkrise. Die Währungsunion kracht in den Fugen.“

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