Analyse: Israel will Hamas in die Schranken weisen

Tel Aviv/Gaza (dpa) - Es ist ein Schlag mitten ins Nervenzentrum der radikal-islamischen Hamas: Israel hat mit Militärchef Ahmed al-Dschabari den ranghöchsten Führer der im Gazastreifen herrschenden Organisation seit fast einem Jahrzehnt getötet.

Tausende Palästinenser versammelten sich am Donnerstag in Gaza beim Begräbnis des einflussreichen Mannes, den Israel als „Generalstabschef“ der Hamas beschrieb.

Am Abend kam es erstmals seit dem Golfkrieg von 1991 zu einem Raketenangriff auf die Küstenmetropole Tel Aviv. Die radikale Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad teilte mit, sie habe eine Rakete des Typs Fadschr 5 auf Tel Aviv abgefeuert. Die Armee erklärte jedoch, es habe keinen Einschlag gegeben. Einwohner hörten allerdings deutlich eine dumpfe Explosion. Zuvor war auch im benachbarten Rischon Lezion eine Rakete eingeschlagen. Bislang galten Angriffe auf Tel Aviv als klare rote Linie im jahrelangen Kleinkrieg zwischen Israel und der Hamas.

Bei dem Begräbnis von Al-Dschabari hatten bewaffnete Männer zuvor Salven in die Luft gefeuert. Trauernde schworen Israel Rache, während sie Al-Dschabaris Leiche durch die Straßen Gazas trugen. „Wir werden den Widerstand nicht aufgeben“, gelobte Al-Dschabaris 20 Jahre alter Sohn Muas. Der Tod seines Vaters werde die Kassam-Brigaden nicht zerstören. „Wir werden weiter Gewehre tragen und seiner Botschaft folgen.“

Zuletzt hatte Israel im Frühling 2004 im Abstand von wenigen Wochen den Hamas-Gründer Scheich Ahmed Jassin und dessen Nachfolger Abdelasis al-Rantisi gezielt getötet. Die Botschaft des neuen, sorgfältig vorbereiteten tödlichen Luftangriffs auf Al-Dschabari ist klar: Israel ist nicht länger bereit, seine Bevölkerung der Willkür militanter Palästinenser auszusetzen und will die ständigen Raketenangriffe aus dem Gazastreifen mit allen Mitteln stoppen.

Klares Ziel der neuen Militäroperation „Säule der Verteidigung“ ist es, die Hamas-Führung einzuschüchtern, damit diese die Raketenangriffe auf Israel stoppt. Mitglieder der politischen Führungsriege der Hamas, wie der ehemalige Ministerpräsident Ismail Hanija, sollten sich nirgendwo mehr in Sicherheit wähnen, drohte Transportminister Israel Katz von der regierenden Likud-Partei am Donnerstag. „Wenn es sein muss, werden wir sie jagen wie wilde Tiere“, sagte er bei der Besichtigung eines durch Raketenbeschuss beschädigten Wohnhauses in Kiriat Malachi. Bei dem Volltreffer in dem vierstöckigen Haus starben drei Menschen, zwei Frauen und ein Mann.

Kurz nach dem tödlichen Schlag gegen Al-Dschabari und dessen Leibwächter griff die Luftwaffe zahlreiche Waffenlager im Gazastreifen an, in denen nach israelischen Angaben Raketen des Typs „Fadschr“ gelagert waren. Sie stammten aus dem Iran und hätten eine Reichweite von etwa 75 Kilometern.

Zivilschutzminister Avi Dichter sagte aber, die Offensive werde vermutlich lange dauern, weil Hamas noch über viele Waffenlager verfüge. Al-Dschabari habe den militärischen Flügel der seit mehr als fünf Jahren allein im Gazastreifen herrschenden Hamas „von einer Ansammlung kleiner, isolierter Terrorzellen in eine geordnete Miliz verwandelt, die sehr fortschrittliche Waffen in ihrem Arsenal hat“, schrieb ein Kommentator der israelischen Zeitung „Maariv“.

Das israelische Militär hat schon begonnen, Reservisten für eine mögliche Bodenoffensive einzuberufen. Die israelische Zeitung „Haaretz“ schrieb bereits vom „ersten Krieg des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu“. Kritiker verwiesen darauf, dass auch beim letzten Gazakrieg, der vor fast vier Jahren begann, israelische Parlamentswahlen bevorstanden.

Doch eine Wiederholung des damaligen Gaza-Feldzugs birgt auch für Israel große Risiken. Neben Verlusten im Kampf besteht auch die Gefahr, die Hamas könnte ihre blutigen Selbstmordanschläge in Israel wiederaufnehmen. Außerdem hat sich die politische Großwetterlage in Nahost seit dem letzten Gazakrieg grundlegend geändert: Die neue ägyptische Führung steht heute an der Seite der Hamas, Israel könnte mit einer blutigen Offensive im Gazastreifen die diplomatischen Beziehungen mit dem arabischen Nachbarland aufs Spiel setzen.

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