Analyse: Keilerei bei der FDP

Berlin (dpa) - Philipp Rösler steht allein auf der Bühne. Die Fernsehkameras laufen. Nichts passiert. Der FDP-Chef hat gerade ein paar Sätze zur Niedersachsen-Wahl gesagt. Jetzt wartet er auf Rainer Brüderle.

Die gemeinsame Pressekonferenz ist überfällig. Minute um Minute verstreicht. Rösler stutzt erst, lehnt sich lässig ans Rednerpult, reißt Witze über das schöne Niedersachsen. „Kommt er noch?“, murren die ersten Gäste. Dann ist Brüderle da. Kein Handschlag für Rösler, keine Umarmung.

Nach den Anlaufschwierigkeiten bemühen sich die Rivalen, gute Miene zum bösen Spiel der zurückliegenden Stunden zu machen. Rösler schwärmt von einer „hervorragenden Aufstellung“ - er Parteichef, Brüderle Wahlkampf-Lokomotive für die Bundestagswahl im September. „Er wird Gesicht und Kopf der Partei sein“, sagt Rösler über den neuen Spitzenkandidaten. Auf die Frage, was für ihn selbst bleibt, antwortet er: „Parteivorsitzender. Meine Aufgabe ist es, das Team zusammenzubinden.“

Auch Brüderle, der im Alter von 67 Jahren nun bundesweiter Posterboy der FDP wird, hat plötzlich erkannt, dass er „Anhänger von Arbeitsteilung und Teamarbeit“ ist. „Sie bringen zwischen uns beide keinen Keil rein.“ Es gebe eine „gegenseitige Vertrauensbasis“ zwischen „Philipp“ und ihm. Da fragen sich viele im Saal, warum die Partei sich dann seit Monaten zerlegt und ihren gewählten Vorsitzenden mürbe macht.

Im Koalitionsalltag, der nach dem niedersächsischen Leihstimmen-Debakel für die CDU noch härter werden dürfte, wird sich nun zeigen, ob das FDP-Tandem sich gegen die Union behaupten kann oder schnell auseinanderbricht.

Könnten Rösler und Brüderle tatsächlich miteinander, hätten sie sich längst auf eine friedliche Verteilung der Macht einigen können. Stattdessen will der Polit-Routinier am Freitag über Bande spielen, um Rösler einzuschüchtern. In einem Interview bringt sich Brüderle als Gegenspieler offen in Stellung und fordert, den Parteitag vorzuziehen. NRW-Jungstar Christian Lindner sekundiert.

Dann kommt der Wahlsonntag. Die Rösler-FDP holt in seiner Heimat Niedersachsen mit fast 10 Prozent ein Rekordergebnis. Damit hatten seine Gegner nicht gerechnet, ein Putsch ist nun noch schwieriger. Der Parteichef und Brüderle führen am Wahlabend in Röslers Büro im Thomas-Dehler-Haus ein Gespräch unter vier Augen.

Ob es dabei eine Einigung zur Arbeitsteilung gibt, damit Brüderle den Spitzenkandidaten macht, ist umstritten. Anschließend jedenfalls gibt Rösler TV-Interviews zur Wahl, bevor er am späten Abend in einem Restaurant mit Vertrauten und seiner Frau Wiebke wohl seinen raffinierten Plan ausheckt. „Wir sind doch nicht von vorgestern“, sagt einer, der dabei war, über die folgenden Entwicklungen.

Am Montagmorgen lässt der Vizekanzler im Präsidium offenkundig gezielt eine Bombe platzen, um seine Position zu stärken. Rösler schlägt nicht nur - wie erwartet - einen raschen Parteitag vor, sondern bietet zur großen Überraschung Brüderle auch den FDP-Vorsitz an. Das lehnt Brüderle ab, es folgt ein zweites Gespräch unter vier Augen. „Es war nicht meine Absicht, Parteivorsitzender zu werden“, sagt er später den Journalisten.

Im Brüderle-Lager sind sie sauer. „Brüderle wurde in eine Falle gelockt“, meint ein Liberaler. Jetzt trage der Fraktionschef den Makel des Wegduckers, der im entscheidenden Moment gekniffen habe. Rösler habe die Offerte zum Rückzug von der Parteispitze nur inszeniert, um sich den größtmöglichen Rückhalt zu sichern.

So kommt es dann in den Gremien auch, die einstimmig die Teamlösung bestätigen. Auch die prominenten Rösler-Widersacher Wolfgang Kubicki, Dirk Niebel und Christian Lindner heben die Hand. Anfang März soll der Parteitag Rösler für zwei weitere Jahre wählen. Bis dahin ist viel Zeit für neue Intrigen.

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