Analyse: Rückzug vor Aufrührern

Neu Delhi (dpa) - „Auftrag ausgeführt“, bescheinigte sich die Bundeswehr vor dem für März geplanten Abzug aus dem nordafghanischen Talokan kürzlich selbst.

Dass die Truppe ihr Lager nun nach einem Aufmarsch von 300 Demonstranten vorzeitig räumte, ist aus deutscher Sicht eine nachvollziehbare Vorsichtsmaßnahme - zumal die Unruhen wegen der Koranverbrennung durch US-Truppen auch in Nordafghanistan eskalierten. Doch Afghanen vermittelt der überstürzte Abzug aus der Provinzhauptstadt das Gefühl, die Bundeswehr lasse sich von steinewerfenden Aufrührern einschüchtern.

„Die deutschen Soldaten gingen wie Feiglinge, weil sie vor den Protesten Angst hatten“, sagte der Lehrer Sayed Munir in Talokan. „Ich glaube, sie kümmern sich nur um sich selber und nicht um die Afghanen, von denen sie sagen, dass sie zu ihrem Schutz da sind.“ Auch der Gouverneur der Provinz Tachar, Abdul Dschabar Takwa, klang alles andere als begeistert. Er sei von der Bundeswehr gar nicht erst über ihren vorzeitigen Abzug informiert worden, beklagte er. „Sie gingen alle, ohne uns Bescheid zu sagen.“

Takwa hält den Auftrag der deutschen Soldaten in Talokan noch nicht für erfüllt. Afghanische Armee und Polizei in der Provinz seien noch nicht weit genug, um die Verantwortung für die Sicherheit von der Internationalen Schutztruppe Isaf zu übernehmen, sagte der Gouverneur. „Wenn es keine Unterstützung gibt, könnten die Dinge sich hier sehr schlecht entwickeln.“ Und das, meint er, könne schnell geschehen. Er sei „sehr besorgt“ über den aus seiner Sicht verfrühten Abzug.

Isaf-Regionalkommandeur Markus Kneip gab den Befehl für den hastigen Abmarsch der Soldaten aus Talokan. Sie nahmen zwar Waffen, Munition und Fahrzeuge mit, ließen laut Bundeswehr anderes Material aber erstmal zurück. Kneip hat persönlich schlechte Erfahrungen mit Talokan gemacht: Bei einem Anschlag während eines Treffens am Sitz des Gouverneurs der Provinz Tachar wurde er im vergangenen Frühjahr verletzt, zwei deutsche Soldaten und mehrere Afghanen starben. Der General musste wochenlang in Deutschland behandelt werden.

Nur zwei Wochen zuvor hatte ein Mob das Bundeswehr-Camp in Talokan mit Molotowcocktails und Handgranaten angegriffen. Mehrere Demonstranten wurden erschossen, vermutlich feuerten afghanische Sicherheitskräfte die tödlichen Kugeln ab. Deutsche Soldaten verletzten mindestens sieben Demonstranten. Der Vorfall bewies ein weiteres mal, wie schlecht das mitten in der Stadt gelegene Lager geschützt werden konnte - das nun Geschichte ist.

Gegner der ausländischen Truppen werden den hastigen Abzug als Zeichen der Schwäche auslegen. Dabei kann sich die Isaf derzeit keinen weiteren Imageschaden erlauben. Die Verbrennung der Heiligen Schrift der Muslime hat das Bild der ausländischen Soldaten vermutlich nachhaltiger beschädigt als alle anderen Skandale zuvor. Daran ändern auch die vielen Entschuldigungen der Isaf, des Pentagons und zuletzt von US-Präsident Barack Obama selber nichts.

„Es reicht nicht aus, dass die Isaf und die Amerikaner sagen, dass es ihnen leid tut“, sagte Maulawi Nakibullah, Prediger an einer Moschee in Kabul. Die Verantwortlichen müssten vor ein afghanisches Gericht gestellt werden. Aiyas Niyasi, Geistlicher an einem anderen Gotteshaus in der Hauptstadt, forderte in seiner Freitagspredigt „eine schwere Bestrafung der Täter - das heißt die Hinrichtung“. Nach dem Freitagsgebet kam es wieder zu schweren Ausschreitungen in mehreren Provinzen, bei denen zahlreiche Menschen starben.

Gläubige wie Hadschi Scher Gul sind gegen die Gewalt. Wütend ist aber auch er. Seit mehr als zehn Jahren würden die Amerikaner die Afghanen immer wieder mit „idiotischen Handlungen“ kränken, während sich die Lebensbedingungen für die meisten Menschen nicht verbessert hätten, sagt der 30-Jährige vor dem Freitagsgebet in Kabul. „Vielleicht ist es an der Zeit, dass sie nach Hause gehen.“

Selbst westliche Zivilisten, die das Isaf-Engagement bislang befürworteten, haben durch die Koranverbrennung die Hoffnung verloren. „Ich habe den Einsatz in Afghanistan immer unterstützt, gemeinsam mit meinen afghanischen Freunden, die sich nach Freiheit und Demokratie sehnen“, sagt eine deutsche Landeskennerin, die anonym bleiben möchte. „Aber nach zehn Jahren muss man eingestehen, dass die Isaf nicht gewinnen kann und es auch nicht verdient. Wir sind einfach zu dumm dafür.“

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