Analyse: Schavan in der Defensive

Berlin (dpa) - Hat Bildungsministerin Annette Schavan bei ihrer Doktorarbeit bewusst getäuscht? Der Verdacht steht mit Bekanntwerden eines internen Gutachtens im Raum - mit Spannung wird auf die offizielle Bewertung der Uni gewartet.

Jetzt kommt es auf ein Gremium an, von dem bisher kaum jemand Notiz genommen hat. Der Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultät der Universität Düsseldorf wird über den Fall der unter Plagiatsverdacht stehenden CDU-Bildungsministerin beraten. Schließt er sich der Bewertung des Gutachtens an, das Schavan eine leitende Täuschungsabsicht bei ihrer Dissertation „Person und Gewissen“ vorwirft? Oder wertet das Gremium den Fall als minderschwer?

Auffällig zurückhaltend fallen die Kommentare im politischen Berlin aus. Eine offene Rücktrittsforderung bleibt aus. Die Kanzlerin spricht Schavan zwar ihr vollstes Vertrauen aus. Aber ihr Sprecher Steffen Seibert erläutert: „Das volle Vertrauen gilt natürlich der Zusammenarbeit mit der Ministerin als Ministerin.“ Schavans strikte Zurückweisung einer Täuschungsabsicht macht sich die Kanzlerin also nicht zu eigen.

Die Bewertung dürfte den Zuständigen an der Universität nicht leicht fallen. „Die Tatsache, dass ein plagiatorischer Fehler festgestellt wird, muss noch nicht zum Titelentzug führen“, sagt der Bonner Wissenschaftsrechtler Wolfgang Löwer, der als Ombudsmann der Deutschen Forschungsgemeinschaft wissenschaftliches Verhalten beurteilt, der dpa. Es sei die Frage, als wie schwer das Vergehen eingestuft werde. „Die Fakultät ist noch nicht ohne Arbeit.“

Unterstellt sie der obersten Wissenschaftspolitikerin der Bundesrepublik nur etwas unsauberes Arbeiten vor mehr als 30 Jahren - oder Täuschung mit Methode? Und selbst wenn Schavan ihren Doktortitel behalten kann - bleibt ihr Ruf noch so gut, dass sie im Amt zu halten ist?

Die Wissenschaft ist autonom und soll sich nicht von politischen Motiven leiten lassen. Wie kam das Gutachten des Vorsitzenden des Promotionsausschusses dann an die Öffentlichkeit? Der Ärger im Hause Schavan darüber ist am Montag groß. Zumal die Ministerin davon erst von der Presse erfuhr. Im Kern geht es darum, dass Schavan benutzte Literatur zwar aufgeführt, aber nicht selbst rezipiert haben soll. In mehreren Passagen soll Schavan den jeweiligen Gedankengang in Anlehnung an andere Literatur entwickelt haben, ohne dies kenntlich zu machen.

Alle sind sich einig: Der Fall erreicht bei weitem nicht die Dimension der Arbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg. „Das ist ein Plagiat“, sagt der ehemalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ernst-Ludwig Winnacker, in der „Süddeutschen Zeitung“. „Bei Schavan ist das, soweit ich mir die Sache im Netz anschauen konnte, was ganz anderes, da geht es um Paraphrasierung.“ Nehme man die Vorwürfe ernst, wäre es kaum mehr möglich, weiter wissenschaftliche Arbeiten in gewohnter Weise zusammenzufassen.

Niemand weiß, wie lange die Hängepartie für Schavan noch anhält. Angefangen hat sie bereits mit anonymen Vorwürfen im Internet vor Monaten. Mit der anstehenden Beratung des Promotionsausschusses gibt es immer noch keine Entscheidung aus der Wissenschaft. Der Ausschuss gibt dem Fakultätsrat eine Empfehlung ab. Der Rat entscheidet, ob Schavan ihren Titel abgeben muss - oder ihn behalten kann. Löwer meint: „Im Fall eines festgestellten Fehlverhaltens würde die Reputation von Frau Schavan allerdings trotzdem Schaden nehmen.“

Bereits im August kündigte Schavan ihren Rückzug aus der CDU-Spitze an, für den Bundestag will sie aber wieder kandidieren. Eine Kabinettsumbildung und das Ausscheiden ihrer Vertrauten dürfte Merkel freilich überhaupt nicht ins Vorwahlkampf-Konzept passen - ist die Kanzlerin derzeit doch bemüht, die zahlreichen innerkoalitionären Konflikte unter Kontrolle zu bringen.

Der Entlassung des damaligen Umweltministers Norbert Röttgen im Mai waren schon mehrere Kabinettsumbildungen vorausgegangen. Zuvor hatten bereits zwei Minister zurücktreten müssen, darunter im März 2011 zu Guttenberg wegen seiner großteils abgeschriebenen Doktorarbeit. Einer gab seinen Posten zugunsten einer anderen Aufgabe auf. Drei Minister wechselten die Ressorts freiwillig.

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