Analyse: Schwarz-gelbe Lieferung und Protest von allen Seiten

Berlin (dpa) - Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) und FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle schritten als Erste zur Tat. Im hitzigen Ringen um Betreuungsgeld und Haushaltskonsolidierung zogen sie schon recht früh am Abend ihre Jacketts aus, heißt es in Koalitionskreisen am Tag danach.

Beinahe wäre es bei diesem Sachstand geblieben: Geld für Eltern, die ihre kleinen Kinder zu Hause betreuen, und vorzeitiges Einhalten der Schuldenbremse. Hätte da Teilnehmern zufolge nicht die Kanzlerin die Herren etwas spitz gefragt, ob das vielleicht ein bisschen wenig sei vor einer Bundestagswahl.

So gingen noch einmal alle ans Werk, schossen dem Verkehrsressort 750 Millionen Euro zu, schafften die Praxisgebühr ab und feilten an einer armutsfesten Rente. Bis tief in die Nacht. Manche Außenstehende werteten die lange Sitzung als Indiz für die Zerstrittenheit von Union und FDP. Für CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt ist das vielmehr der Beweis des Gegenteils: „Wenn man acht Stunden zusammen in einem Verhandlungsraum sitzt, muss man gut miteinander können. Sonst würde man es nicht miteinander aushalten.“

Nicht auszuhalten sind für Opposition, Gewerkschaften und Arbeitgeber die Ergebnisse dieses Koalitionsausschusses. Wählerkauf, Wahlgeschenke, falsche Haushalts- und schlechte Sozialpolitik, lauten die Vorwürfe. So viel Kritik von allen Seiten war selten. CSU- Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt verteidigte: „Von den Beschlüssen der Koalition profitieren die Menschen in Deutschland. (...) Wir haben bei jedem Thema für sich eine sachgerechte und sinnvolle Antwort gefunden.“ Und CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sagte, im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern stehe Deutschland unter Schwarz-Gelb finanziell beispielhaft da.

Der DGB aber findet es zynisch, dass Schwarz-Gelb eine Mini- Aufstockung von Mini-Renten „Lebensleistungsrente“ nennt. Wer diesen Begriff erfunden hat, blieb im Dunkeln. Gröhe sagte, das Copyright sei nicht mehr zuzuordnen. Irgendwann habe irgendjemand die geplante Erhöhung so bezeichnet.

Nach Teilnehmerangaben könnte es sich um einen Betrag von 10, vielleicht 15 Euro handeln, um den die Grundsicherung dann für jene Menschen aufgestockt wird, die 40 Jahre Beiträge gezahlt und privat vorgesorgt haben und trotzdem nicht auf das Niveau der Grundsicherung kommen. Diese beziehen auch jene, die nie gearbeitet haben. Die CDU sieht den besonderen Wert in dieser Entscheidung in dem Fakt, dass die Lebensleistungsrentner dann nicht mehr zum Sozialamt gehen und ihre Vermögensverhältnisse offenlegen müssen.

Die von CDU-Frauen geforderte bessere Anerkennung bei der Rente von Müttern, deren Kinder vor 1992 geboren wurde, erscheint vom Tisch. Es wird nicht damit gerechnet dass der Prüfauftrag in den elf Monaten bis zur Wahl noch Gesetzesreife erreicht. Das wird Unmut schaffen in der CDU, die im Dezember einen neuen Vorstand und Angela Merkel erneut zur Chefin wählen will.

Insgesamt hat die CDU bei diesem Koalitionsausschuss CSU und FDP Erfolge überlassen. Merkel nützen die eigenen guten Umfragewerte nicht viel, wenn ihr die Partner wegbrechen.

FDP-Chef Philipp Rösler wirkt am Montag so gelöst wie lange nicht mehr. Auch wenn niemand in der FDP von einem Befreiungsschlag reden möchte, die Ergebnisse der Koalitionsrunde verschaffen dem angeschlagenen Vorsitzenden zumindest eine Atempause. „Wir haben so viel erreicht, das müssen wir jetzt auch gemeinsam vermitteln“, sagt Parteivize Birgit Homburger fast beschwörend.

Als größten Erfolg wertet Rösler die Festlegung, bis 2014 einen strukturell ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Damit kann der Parteichef erstmals einen sichtbaren Erfolg beim Thema Schuldenabbau verbuchen, das die Liberalen schon länger als neues Kernthema etablieren wollen. „Für uns ist klar, dass wir damit einen Paradigmenwechsel eingeleitet haben, auch in der Positionierung der gesamten Regierungskoalition“, betonte Rösler.

Dumm nur, dass das alles für die Wähler zunächst reine Arithmetik bleibt, zumal es in der Rechnung, wie die notwendigen Milliardeneinsparungen erreicht werden können, noch viele Leerstellen gibt. Viel unmittelbarer für die Bürger wirkt sich die von der FDP durchgesetzte Abschaffung der Praxisgebühr aus. Die hatte sich zuletzt fast zum Prestigeprojekt für Rösler entwickelt. Nun hat er geliefert - wie er es bei seinem Amtsantritt Mai 2011 versprochen hatte. Seitdem war er vor allem von seiner eigenen Partei daran unerbittlich gemessen worden. Skeptische Koalitionäre meinen zurückhaltender, Rösler habe erst einmal nur einen Lieferschein ausgefüllt. Bis zur Bundestagswahl sei es noch ein weiter Weg.

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