Der geplatzte Lebenstraum des Mr. Romney

Washington/Boston (dpa) - Mitt Romney wirkt gefasst, aber leicht kommen ihm die Worte nicht über die Lippen: „Ich habe gerade Präsident Obama angerufen und ihm zu seinem Sieg gratuliert“, sagt er traurigen Anhängern in seiner Heimatstadt Boston.

In einigen Orten an der Westküste sind die Wahllokale noch geöffnet, als Romneys großer Traum von der US-Präsidentschaft platzt. Der 65-Jährige bemüht sich um staatsmännische Haltung, als er seine Niederlage eingesteht. Doch sein Gesicht spricht Bände.

Die Niederlage ist für ihn richtig bitter, schien der Sieg doch bis zum Ende so greifbar nah. Noch am Wahltag sah ihn manche Umfrage vorn. Er habe nur eine Siegerrede vorbereitet, 1118 Wörter sei sie lang, ließ er Reporter wenige Stunden vor dem Wahlabend wissen. Sein Team bereitete seit Wochen den Umzug nach Washington vor, führte Personalgespräche, schrieb erste Gesetzestexte. Auch ein Hund wurde ausgesucht, ein Weimaraner sollte mit ins Weiße Haus ziehen. Doch die Regierung eines Präsidenten Willard Mitt Romney wird es nicht geben. Seine Vision für Amerika landet als Fußnote in Geschichtsbüchern.

Sieben Jahre arbeitete der Ex-Gouverneur nur auf ein Ziel hin: mächtigster Mann der Welt zu werden. 2008 scheiterte er schon in den Vorwahlen. Doch Romney lernte dazu und ließ beim zweiten Anlauf seinen überwiegend skurrilen und untalentierten Mitbewerbern aus der eigenen Partei keine Chance. Im finalen Duell gegen den Amtsinhaber Obama mauserte er sich schließlich - für viele überraschend - vom müde belächelten Langweiler zum gleichwertigen Herausforderer.

Am Mittwoch rieben sich Parteigenossen verwundert die Augen, denn bessere Voraussetzungen für einen Sieg hätte es für Romney kaum geben können. Die Wirtschaftslage ist in den USA weiter schlecht, der Amtsinhaber hat seit Jahren schwache Beliebtheitswerte, und auch außenpolitisch türmen sich die Probleme. Warum er dennoch bei den Wählern durchfiel, dürfte nun eine brutale Ursachenforschung bei den Republikanern klären. Gut möglich, dass sie die Schuld allein beim Kandidaten sehen und ihn als Versager abstempeln. Mit dem „moderaten Mitt“ sind viele Konservative ohnehin nie warm geworden.

Dabei war Romneys Problem laut Experten nicht, dass er zu weit in der politischen Mitte stand, sondern dass er ein Kandidat von gestern war. Bei seiner klassischen Klientel lag er deutlich vorn - den Senioren, Kirchgängern, Waffenbesitzern oder der Landbevölkerung. Doch deren Einfluss schwindet. Auch weiße Wähler machen nur noch gut 70 Prozent der Wählerschaft aus - vor 20 Jahren waren es fast 90. Obama erkannte schon vor Wochen: Wenn Romney verliert, dann weil er sich von der „am schnellsten wachsenden demografischen Gruppe im Land entfremdet hat - den Latinos“.

Hinzu kam, dass die Republikaner mit ihrer konservativen Haltung in Fragen von Verhütung und Abtreibung die Frauen verärgerten. Die straften Romney richtig ab: Obama lag bei den Frauen mit mehr als zehn Prozentpunkten Vorsprung vorn.

Doch es waren auch persönliche Fehler, die Romney in die Niederlage führten. Seinen Wahlkampf führte er mit einer fast peinlichen Zwanghaftigkeit, den Wählern genau das erzählen zu wollen, was sie gerade hören wollen. „Als Kandidat war er ein Gestaltwandler, der seine Botschaften drehte und wendete und sich selbst immer wieder für den Moment passend neu ausrichtete“, kritisierte ihn die „Detroit Free Press“ - immerhin die Zeitung seiner Geburtsstadt.

Auch mit seinem Widerwillen, Details zu nennen, stieß Romney viele vor den Kopf. Er kündigte an, zwölf Millionen neue Jobs zu schaffen, ließ aber offen, was er dafür anders machen würde als Obama. Er versprach Steuererleichterungen für alle, doch verlor er kein Wort über die Finanzierung dieses Fünf-Billionen-Dollar-Geschenks. Unter seiner Ägide werde der Staatshaushalt ausgeglichen, erzählte er mit treuem Blick. „Romney lebt im Wolkenkuckucksheim, wenn er glaubt, man schafft das allein mit Ausgabenkürzungen“, meinte dazu der „Economist“.

Gegen diesen Eindruck konnte auch der Haushaltsexperte Paul Ryan als Vizekandidat an Romneys Seite nichts ausrichten. Ohnehin gilt die Wahl des 42-Jährigen bei vielen Experten als Fehlentscheidung. Statt konservative Wähler zu überzeugen, habe der junge Karrierepolitiker mit seinen drastischen Reformplänen für das Sozialwesen wichtige Wählergruppen verprellt.

Zudem verschlimmerte Romney das Image des herzlosen Millionärs mit rhetorischen Ausfällen. Das heimlich aufgenommene Video, in dem er vor reichen Geldgebern 47 Prozent der Wähler als unregierbare Sozialschmarotzer abtat, könnte als der Moment in die Geschichte eingehen, in dem Romney die Wahl verloren hat. Vor allem, weil seine nur wenig später widerwillig veröffentlichten Steuererklärungen zeigten, dass er einen geringeren Steuersatz zahlt als Durchschnittsbürger.

Dennoch öffnete Obama ihm genügend Türen. Im ersten TV-Duell mit rund 60 Millionen Zuschauern etwa lieferte der Präsident Anfang Oktober „die schlechteste Leistung eines Kandidaten in 40 Jahren“, wie das „Time“-Magazin urteilte. Romney konnte das ausnutzen und in Umfragen massiv aufholen - doch nicht schnell genug. Denn als der Wirbelsturm „Sandy“ den Präsidenten eine Woche vor der Wahl als Krisenmanager in ein positives Licht rückte, musste Romney seinen letzten Großangriff auf Obama verschieben. Und dann war seine Zeit abgelaufen.

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