„Four more years“ - Zweite Chance für Obama

Washington/Chicago (dpa) - Es ist der Augenblick des Triumphes. Fast wie vor vier Jahren ist die Stimmung bei der nächtlichen Siegesfeier in Chicago. „Wir leben in dem großartigsten Land der Welt“, ruft ein überschwänglicher Obama seinen jubelnden Anhängern zu.

Wie weggewischt sind die Strapazen des Wahlkampfes, wie weggewischt sind die Zweifel, die Ängste. Plötzlich, in dieser Nacht, scheint wieder alles möglich. „Heute habt Ihr Tatkraft gewählt, nicht Politik nach altem Schema“, ruft ein erlöster Präsident. „Four more years“ (Vier weitere Jahre), antwortet ihm die Menge. Es scheint, als sei die Zukunft Amerikas wieder weit offen.

Dabei weiß Obama nur zu gut um die Probleme des Landes. Lange nicht mehr wurde ein Wahlkampf in den USA mit derart harten Bandagen geführt. Das Land ist tief gespalten. Fast beschwörend appelliert der Mann im Weißen Haus an die Einheit des Landes, wirbt für Familienwerte. Obama ahnt schon - leicht wird seine zweite Amtszeit nicht werden.

Der erste schwarze Präsident der US-Geschichte bekommt eine zweite Chance - trotz der Krise in den USA, trotz weit verbreiteter Zukunftsangst unter den Amerikanern. Obama wurde nicht wiedergewählt, weil er eine brillante Bilanz vorlegte oder weil er abermals mit hochfliegenden Visionen lockte. Diesmal war es ein mühsam erkämpfter Arbeitssieg - ohne Glanz und ohne echten Enthusiasmus bei den Wählern. Nicht zuletzt wurde Obama wiedergewählt, weil die Amerikaner seinem Gegner Mitt Romney nicht recht über den Weg trauten.

„Obama machte wieder Geschichte“, schreibt die Zeitung „USA Today“. Die Leichtigkeit und der Charme, mit dem der „Menschenfischer“ Obama vor vier Jahren die Herzen der Amerikaner erobert hatte, sind zwar nur noch vage Erinnerungen aus einer längst vergangenen Zeit. Der Zauber, den Obama einst verbreitete, ist längst verpufft, die Magie verflogen.

Dabei hatte Romney diesmal alle Trümpfe in der Hand gehalten. Rund acht Prozent Arbeitslosigkeit - normalerweise gilt das als politisches Todesurteil für einen Amtsinhaber. Ironie der Geschichte: Diesmal war es der 65-jährige Multimillionär und einstige Private-Equity-Mann Romney, der „echten Wandel“ in Aussicht stellte. Zwölf Millionen neue Jobs wolle er schaffen, verführerisch und betörend klangen seine Versprechungen - doch die Amerikaner misstrauten dem „Flip-Flopper“, dem Wendehals Romney, der sein Mäntelchen allzu oft nach dem Wind hängt.

Auch Obama gelang es nicht wirklich, die eigene Basis in seinen Bann zu ziehen. Keine Fortschritte im Klimaschutz, bestenfalls Trippelschritte im Umweltschutz, moniert die Linke in der Demokratischen Partei. Dann existiert da nach wie vor der Schandfleck Guantánamo, das weltweit kritisierte Gefangenenlager auf Kuba, das Obama doch eigentlich abschaffen wollte. Dennoch: Obama hat etwas in Gang gesetzt in seinen ersten vier Jahren, was die Amerikaner ganz offenbar doch schätzen. Er hat die Krankenversicherung für alle durchgesetzt, ein Traum der Demokraten seit Jahrzehnten. Er hat den Irakkrieg beendet, will aus Afghanistan abziehen, hat Terrorchef Osama bin Laden zur Strecke gebracht. Doch vor allem: Er hat sich der weiteren Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich entgegengestemmt. Das war das Markenzeichen seiner ersten Amtszeit. Das ist ihm zwar nur zum Teil gelungen, dennoch wurde er bei rechten Republikanern dafür zum Hassobjekt.

Die Probleme, mit denen „Obama II“ nun zu kämpfen hat, sind die alten. Der Präsident hat es erneut mit einem Kongress zu tun, in dem die Republikaner alles blockieren können. Die Frage ist: Kann Obama die Verhärtung der politischen Fronten, die tiefe Spaltung zwischen Republikanern und Demokraten überwinden? Hat die populistische Tea-Party-Bewegung, die die Republikaner in die Totalopposition trieb, den Zenit überschritten? Kompromissfähigkeit ist angesagt - anders kann Obama der Probleme nicht Herr werden. Da ist die schwindelerregende Verschuldung der USA, die mit rund 100 Prozent der jährlichen Wirtschaftskraft beinahe südeuropäische Ausmaße angenommen hat. Da ist die marode Infrastruktur, die Wachstum hemmt, deren Überwindung aber selbst Milliarden und Abermilliarden Dollar zu verschlingen droht. Die Herausforderungen, denen Obama gegenübersteht, muten an wie eine Quadratur des Krises.

Hinzu kommen die Risiken der Außenpolitik. Nicht mehr ausgeschlossen ist, dass bereits im Frühjahr in Nahost ein neuer Waffengang bevorsteht. Ein Militärschlag Israels gegen die Atombunker im Iran würde den Nahen Osten in einen Hexenkessel verwandeln - und vermutlich die USA zum Eingreifen zwingen. Hinzu kommt das Massaker in Syrien. Bisher hat die „Weltmacht Nummer eins“ am Rand gestanden und zugeschaut. Aber wie lange noch kann sie sich das leisten?

Obama muss es in den nächsten vier Jahren gelingen, was er in der ersten Amtszeit nicht geschafft hat, was aber eigentlich sein Ziel war. Damals, beim seinem großen Triumph 2008, hatte Obama beschworen, das Klein-Klein des Parteiengezänks zu überwinden, Ideologien hinter sich zu lassen, gemeinsam mit den Republikanern vernünftige Lösungen zu suchen. Das muss er jetzt in die Tat umsetzen. „Die Alternative“, meint der Politikexperte William A. Galston, wäre „ein langsamer nationaler Niedergang“.

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