„Furchtbarer Präzedenzfall“: Scharfe Kritik nach Film-Absage

New York (dpa) - Um den Film selber geht es schon längst nicht mehr.

„Furchtbarer Präzedenzfall“: Scharfe Kritik nach Film-Absage
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„The Interview“, eine Satire über zwei US-Journalisten (Seth Rogen und James Franco), die den Auftrag bekommen, Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un bei einem Interview zu töten, sei eine „dumme“ und „alberne Komödie“, sagte Hollywood-Star George Clooney dem Branchenportal „Deadline“. „Aber die Wahrheit ist, dass das, was jetzt daraus geworden ist, eine ganze Menge über uns alle aussagt.“

Denn der Film wird nicht wie geplant am 25. Dezember in die US-Kinos kommen. Nach einer Hacker-Attacke und Terrordrohungen hat das Filmstudio Sony Pictures die Satire zurückgezogen - und damit nicht nur in der Branche gewaltigen Wirbel und eine hitzige Diskussion über die Kunstfreiheit ausgelöst. Die US-Regierung vermutet Nordkorea hinter dem Hacker-Angriff.

„Wir haben die Pflicht, uns dagegen zu wehren“, sagte Clooney. „Irgendwie haben wir es zugelassen, dass Nordkorea Inhalte von Filmen diktieren kann, und das ist einfach nur wahnwitzig.“ Auch zahlreiche andere Künstler kritisieren Sony Pictures scharf. Eine „atemberaubende Offenbarung von Feigheit“ nannte der „Game of Thrones“-Autor George Martin die Entscheidung, und Schauspieler Steve Carrell sprach von einem „traurigen Tag für die künstlerische Ausdrucksfreiheit“.

Die Absage des Kinostarts sei eine Drohung gegen alle Künstler auf der Welt, sagte der Bestseller-Autor Pablo Coelho („Der Alchimist“) dem Nachrichtenportal UOL. „Sony hat einen furchtbaren Präzedenzfall geschaffen.“ Coelho erklärte sich bereit, den Film gratis in seinem Blog zu veröffentlichen und bot Sony Pictures 100 000 Dollar (rund 81 000 Euro) für die Rechte an. „Sie bekommen 0,01 Prozent des Budgets zurück, und ich kann „Nein“ zu Terror-Drohungen sagen.“

Die komplette Absage eines Hollywood-Films nach Terrordrohungen - so etwas gab es noch nie und doch erinnert der Fall an ähnliche Vorkommnisse, die für große Aufregung sorgten. Die „Satanischen Verse“ des indisch-britischen Autors Salman Rushdie beispielsweise, die der Iran als islamkritisch ansieht und ihn deswegen bis heute mit Todesurteil verfolgt. Oder die in einer dänischen Tageszeitung abgedruckten Mohammed-Karikaturen, die zu gewaltvollen Protesten muslimischer Organisationen führten. Oder die Kontroverse um das Bild „The Holy Virgin Mary“, das eine teilweise mit Elefantendung gemalte Mutter Gottes zeigt und Politiker in New York 1999 so sehr aufregte, dass sie dem ausstellenden Brooklyn Museum alle Gelder streichen wollten.

Bei all diesen Kontroversen geht es immer um die Frage: Wie weit darf Kunst gehen? Und: Wann ist es noch Kunst oder Satire und wann verletzt es auf unverhältnismäßige Art und Weise die Gefühle anderer Menschen? Die Kunstfreiheit ist beispielsweise in Deutschland und den USA vom Gesetz geschützt, ist ein Grundrecht - und trotzdem gibt es immer wieder erbitterte Gerichtsprozesse darum.

Und das sei auch in diesem Fall das Problem, sagt der Anwalt Andrew Stoltman aus Chicago der „USA Today“: „Sony hätte eine wahnsinnige Verpflichtung und einen Tsunami an Klagen gehabt, wenn etwas in einem Kino passiert wäre. Natürlich ist die Kunstfreiheit wichtig, aber hier geht es um Dollars und Cents, und wenn ich der Chef der Rechtsabteilung von Sony bin, ist das eine einfache Entscheidung.“

Für die Kunstfreiheit sei die Entscheidung trotzdem das Anfang vom Ende, sagte die Gründerin des American Center for Democracy, Rachel Ehrenfeld, der „USA Today“. „Wir haben unseren ersten Cyber-Krieg verloren und viel mehr. Wir haben unsere Freiheit und unser Recht, offen zu sprechen, verloren. (...) Jeder Schriftsteller und Künstler ist jetzt in Gefahr.“

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