Hilfskonvoi sorgt für Aufschrei in Kiew: „Invasion“

Moskau (dpa) - Eklat an der Grenze: Nach tagelangem Nervenkrieg werfen 280 russische Lastwagen ihre mächtigen Motoren an und rollen eigenmächtig auf ukrainisches Gebiet. Die Regierung in Kiew schäumt.

„Das ist eine direkte Invasion“, sagt Geheimdienstchef Valentin Naliwajtschenko. Für kurze Zeit machen Spekulationen über eine mögliche Bombardierung des Konvois durch die ukrainische Luftwaffe in Kiew die Runde. Dies weist Naliwajtschenko aber zurück.

Die Offensive der weißlackierten Lastwagen ist neuer Zündstoff im belasteten Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine - kurz vor Krisengesprächen von Bundeskanzlerin Angela Merkel an diesem Samstag in Kiew. Der Affront kommt nicht unerwartet. Wenige Stunden vor dem Fahrbefehl warnt Moskau die Regierung in Kiew und spricht in scharfem Ton von „Willkür und Lügen“. Die Ukraine verzögere die Einreise absichtlich - „Russland hat beschlossen zu handeln“, verkündet das Außenministerium dann in drohendem Ton.

Es ist ein neuer schwerer Rückschlag in dem Konflikt mit mittlerweile mehr als 2000 Toten in der Ostukraine. Dabei gab es zuletzt durchaus Hoffnung auf einen fruchtbaren Dialog. Die Präsidenten Wladimir Putin und Petro Poroschenko wollen am kommenden Dienstag in der weißrussischen Hauptstadt Minsk über eine Entspannung der Lage sprechen. Nun aber ziehen erneut dunkle Wolken auf. Einen „Bruch des Völkerrechts“ nennt Poroschenko die Grenzüberquerung der Lastwagen.

Seit der Konvoi am 12. August Moskau verließ, hatte Russland immer schärfere Worte Richtung Kiew geschickt. Dem Kreml zufolge sollen die Hilfsgüter den Bewohnern der belagerten Separatistenhochburg Lugansk zugutekommen. In der Propagandaschlacht der Staatsmedien sind Großaufnahmen dankbarer Menschen beliebte Szenen. Doch zuletzt stand die rund drei Kilometer lange Kolonne gut eine Woche lang in der Augustsonne an der ukrainischen Grenze - bis sich die Lage nun wieder scharf zuspitzte.

Die Ukraine hatte stets argumentiert, die Rolle des Roten Kreuzes beim Transit der Güter durch die Kampfzone sei ungeklärt. Doch Beobachtern zufolge war überdeutlich, dass Kiew die Lastwagen nicht ins Land lassen wollte. Nach monatelangen Kämpfen zwischen Armee und prorussischen Aufständischen ist das Misstrauen zwischen den Nachbarländern enorm. „Was als angebliche humanitäre Aktion begann, endet nun in einer militärischen Invasion“, sagt Anton Geraschtschenko vom Innenministerium in Kiew.

Die Ukraine kritisiert die russische Hilfslieferung als Provokation. Der Moskauer Politologe Dmitri Trenin sieht darin aber ein weiteres kühl kalkuliertes Manöver von Putin. Der Kremlchef wolle die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft weg von den Gefechten und hin zum Leid der Bevölkerung lenken. „Putin will damit die Weichen für internationale Gespräche über eine Waffenruhe stellen“, meint der Experte vom Carnegie Center. Diesem Ziel diene auch der Austausch der bisher russischstämmigen Separatistenführer in den vergangenen zwei Wochen. „Der Kreml installiert neue Gesichter und will erreichen, dass sie als Gesprächspartner akzeptiert werden“, betont Trenin.

International ist die Empörung über den russischen Alleingang zwar groß. Größer dürfte aber die Sorge sein, dass Moskau die Separatisten auch weiterhin unterstützt - mit Kämpfern und Kriegsgerät, wie der Westen vermutet. Den Gesprächsfaden mit Moskau will daher die proeuropäische Führung in Kiew trotz des Eklats nicht abreißen lassen. Poroschenko habe einen Vorschlag seiner Berater abgelehnt, das geplante Treffen mit Putin platzen zu lassen, heißt es in Kiew.

„Poroschenko schluckt jetzt die Kröte, weil er weiß, dass ihn Putin nicht mit leeren Händen aus Minsk zurückkehren lässt“, sagt ein Mitarbeiter der ukrainischen Regierung. Im Gespräch sind Rabatte bei russischen Gaslieferungen. Für die fast bankrotte Ukraine wäre das ein Erfolg, der den Ärger um 280 Lastwagen wohl wert wäre.

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