Hintergrund: Viele Vorschläge gegen den Nazi-Terror

Berlin (dpa) - Seit Jahren verbreiten Neonazis in Deutschland Angst. Allerdings galt rechtsextreme Gewalt dem Verfassungsschutz noch im Sommer als überwiegend spontan. Die Mordserie der Neonazi-Zelle zeigt plötzlich das Gegenteil - entsprechend schnell sind Politiker und Experten mit Vorschlägen im Kampf gegen Rechtsterrorismus bei der Stelle.

Ein Überblick:

- VERFASSUNGSSCHUTZREFORM: Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und andere wollen wirksamere Strukturen beim Verfassungsschutz. Es gebe zu viele Verfassungsschutzämter. In den vergangenen Jahren konzentrierte sich der Verfassungsschutz mit einem großen Teil seiner Ressourcen auf islamistischen Terror. Der Chef des Bundestagsgremiums zur Geheimdienstkontrolle, Thomas Oppermann, sieht dennoch keine Fehler beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Auch er kritisiert aber Koordinationsmängel zwischen den einzelnen Ämtern. Unklar ist, warum der thüringische Verfassungsschutz die Spur der Zwickauer Zelle verlor. Auch in anderen Ländern steht der Verfassungsschutz in der Kritik.

- V-LEUTE: Die Verbindungspersonen des Verfassungsschutzes in die rechte Szene haben offensichtlich nicht dazu beigetragen, die Mörder aufzuhalten oder dem Staat überhaupt nur ein Bild von der Dimension des Rechtsterrors zu liefern. Quer durch die Parteien fordern Politiker, die Rolle der Spitzel zu begrenzen. Andere halten dagegen, ihre Erkenntnisse seien wichtig. Tatsächlich birgt der Einsatz der V-Leute mehrere Probleme: Zu ihren Motiven zählen Geld und der Wunsch nach Vergünstigungen bei der Ahndung eigener Straftaten. So eng sie mit der rechten Szene in Verbindung stehen, hängen sie selbst oft einem extremistischen Weltbild an. Sie stehen von Seite der Behörden und von ihrer Gruppe unter Druck. Fraglich ist, in welchem Ausmaß sie wirklich brisanten Informationen weitergeben. Oft werden sie weniger eng geführt und kontrolliert wie vorgesehen.

- NPD-VERBOT: 2000 beantragten Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag das Verbot in Karlsruhe. Am 18. März 2003 stellte das Bundesverfassungsgericht das Verfahren ein. Grund: Selbst die Vorstände der Partei in Bund und Ländern waren zu einem deutlichen Anteil mit V-Leuten besetzt. Einige der Richter vermuteten, die staatlich bezahlte Informanten könnten Entscheidungen der Partei beeinflusst, also Beweise gegen die NPD quasi erst geschaffen haben. Für einen Neuanlauf müssten die V-Leute wohl abgeschaltet werden - dann aber könnte die NPD vorerst weitgehend unbeobachtet agieren. Gegner eines neuen Verbotsverfahrens argumentieren zudem, es wäre besser, wenn die NPD weiter bei Wahlen abgestraft wird und sich nicht zum Opfer stilisieren kann. Unklar bleibt, ob Neonazi-Gewalttäter nicht auch ohne der die Szene überwölbenden NPD aktiv wären.

- ZENTRALREGISTER FÜR NEONAZIS: Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will hier Daten der Verfassungsschutzämter und der Polizeibehörden von Bund und Ländern über gewaltbereite Rechtsextremisten und entsprechende Gewalttaten zusammenführen. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hält dagegen, es gebe schon Dateien für rechte Gewalttäter. Gegen islamistische Bedrohungen war 2007 eine Anti-Terror-Datei eingerichtet worden, die die Informationen von Polizei und Geheimdiensten über Terroristen, terroristische Aktivitäten und verdächtige Personen zusammenführt. Grunddaten über die Personen sind den Behörden frei zugänglich. Darüber hinausgehende Informationen müssen erst dort angefordert werden, wo die Erkenntnisse herkommen. Datenschützer monierten, auch Unschuldige könnten in die Datei geraten.

- RECHTSEXTREMISMUSABWEHRZENTRUM: Unionsfraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier (CDU) schlägt vor, dass Bund- und Länderbehörden einen Informationsverbund gegen rechts bilden. „Warum gibt es kein Rechtsextremismusabwehrzentrum vergleichbar mit dem Terrorismusabwehrzentrum in Berlin“, fragte auch der unabhängige Experte Hans-Gerd Jaschke in der ARD. Das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum GTAZ gegen islamistischen Terror gibt es seit sieben Jahren. Experten von 40 Sicherheitsbehörden sitzen in verschiedenen Arbeitsgruppen zusammen und tauschen sich auch zu tagesaktuellen Polizei-Erkenntnisse aus.

- ZIVILGESELLSCHAFTLICHES ENGAGEMENT: Dutzende ehrenamtliche Initiativen stemmen sich gegen die Rolle der Rechtsextremen im Alltag, gegen ihre Strategien zur Unterwanderung der Gesellschaft, gegen Gewalt und gegen eine Vernachlässigung von Opfern. Die Opposition fordert vehement, diese Gruppen stärker zu unterstützen. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) meint dagegen, mit 24 Millionen Euro sei der Etat gegen Rechtsextremismus fast fünfmal so hoch wie der gegen Linksextremismus. Die Opposition fordert auch die Abschaffung der „Extremismusklausel“, die von Initiativen ein Bekenntnis zur demokratischen Grundordnung verlangt.

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