Interview: „Die Situation ist brenzlig“ - US-Atomkraftwerk

Berlin (dpa) - Wirbelsturm „Sandy“ ist über das Atomkraftwerk „Oyster Creek“ im US-Bundesstaat New Jersey hinweggefegt. Dort gibt es nun Hochwasser-Alarm. Obwohl die Anlage zur Vorsicht abgeschaltet wurde, könne ihr das Wasser zusetzen, sagt Stephan Kurth, Nukleartechnik-Experte für das Öko-Institut.

Ein Knackpunkt sei die Stromversorgung für die Kühlpumpen.

Wie schätzen Sie die Lage beim US-Atomkraftwerk Oyster Creek ein?

Kurth: „Akut besteht dort keine Gefahr, dass Radioaktivität austritt. Aber die Situation ist brenzlig. Ein Teil der Sicherheit ist schon eingebüßt, weil durch das Hochwasser Anbindungen in die Umgebung verloren gehen können - zum Beispiel an das Stromnetz. Wenn es ausfällt, sind die Anlagen auf Notstrom angewiesen. Man muss dann darauf bauen, dass die Dieselgeneratoren auch arbeiten und genug Treibstoff für sie vorhanden ist. Sind die Diesel-Vorräte erschöpft, muss man Nachschub mit Tanklastern heranfahren. Das kann bei stehendem Wasser auf zerstörten Straßen schwierig werden.“

Ist diese Anlage denn dann weiterhin sicher?

Kurth: „Was in Oyster Creek an Vorsorge getroffen wurde, halte ich für wirksam. Das Kraftwerk wurde rechtzeitig abgeschaltet. Dann wird auch die Wärme geringer und man muss weniger Aufwand für die Kühlung treiben. Ein vollständiges Abkühlen dauert aber Wochen, weil auch bei weniger Wärme immer noch eine Kernschmelze stattfinden kann. Deshalb muss man auch wochenlang eine Kühlung sicherstellen. Wenn sie nicht funktioniert, kann das dramatisch enden.“

Welche Gefahr birgt Hochwasser für die Anlage?

Kurth: „Wasser schadet, weil bei einer Überflutung ja auch Pumpen oder elektrische Einrichtungen überschwemmt werden und ausfallen können. Dadurch könnten auch die Kühlpumpen Schaden nehmen, die frisches Wasser zum Kühlen in die Anlage befördern.“

Aber das ist kein Fukushima-Szenario?

Kurth: „Nein. Aber es gibt insofern Parallelen, dass wir auch in Japan Stromausfall und Überschwemmungen hatten. Aber um es ganz brenzlig zu machen, müssten in Oyster Creek weitere schwere Schäden dazukommen, die zum Ausfall der Kühlung führen.“

Sind US-Anlagen ausreichend gegen Stürme wie „Sandy“ geschützt?

Kurth: „In den USA sind alle Atomanlagen gegen Stürme gesichert. Die Frage ist eben nur, wie weit. Das ist auch eine Parallele zu Fukushima. Auch diese Anlage war geschützt, allerdings nicht gegen solche Extreme wie ein sehr starkes Erdbeben samt einem Tsunami. Alte Anlagen wie Oyster Creek sind auch generell schlechter gegen Naturgewalten und Flugzeugabstürze gewappnet, weil bei ihrem Bau noch nicht so strenge Auflagen galten.“

Wie ist das in Deutschland?

Kurth: „Die deutschen Anlagen sind gegen Sturm- und Wasserschäden ausgelegt. Aber jede Auslegung hat eben ihre Grenzen. Ein extremes Hochwasser an einem Fluss könnte bei uns üble Folgen haben. Es kann auch hier starke Erdbeben geben. Ein richtiges Problem entsteht oft aber erst, wenn mehrere Schutzvorrichten hintereinander ausfallen. Damit rechnet man einfach nicht.“

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