Krisengipfel zum Rechtsterrorismus

Berlin (dpa) - Nach immer neuen Berichten über Pannen bei den Ermittlungen zum rechtsextremen Terror hat die Bundesregierung einen Krisengipfel einberufen. Innen- und Justizminister aus Bund und Ländern treffen sich am Freitag in Berlin mit den Spitzen der Sicherheitsbehörden.

Zudem standen wohl auch Politiker im Visier des Zwickauer Trios Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. In baden-württembergischen Ermittlerkreisen hieß es, Zschäpe wolle nun am Donnerstag aussagen.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verlangte erneut Konsequenzen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Mittwoch: „Wir haben eine Verantwortung aufzuklären und womöglich eine Verantwortung, Konsequenzen zu ziehen.“

Bundespräsident Christian Wulff will die Angehörigen der Neonazi-Mordopfer zu einem Gespräch nach Berlin einladen. Ein Termin steht noch nicht fest. „Ich bin erschüttert und teile die Empörung der Menschen in unserem Land“, sagte Wulff. Es stellten sich Fragen, ob die Bundesrepublik den Opfern und ihren Hinterbliebenen gerecht geworden sei und die Protagonisten rechtsextremer Kreise ausreichend beobachtet wurden, sagte Wulff. „Haben wir uns möglicherweise von Vorurteilen fehlleiten lassen?“

Bei der bayerischen Polizei gab es laut ARD bei den Ermittlungen zur Mordserie schon früh den Verdacht auf einen rechtsextremistischen Hintergrund. Beamte der Nürnberger Sonderkommission „Bosporus“ hätten deshalb bereits vor Jahren alle deutschen Verfassungsschutzämter gezielt um Informationen über auffällige Personen aus dem rechtsextremen Milieu gebeten, sagte einer der leitenden Soko-Mitarbeiter, Uwe Jornitz, in einer Dokumentation der ARD-Politikmagazine „Fakt“, „Report Mainz“ und „Report München“.

In Niedersachsen wurde der als mutmaßlicher Komplize festgenommene Holger G. bereits 1999 als möglicher Terrorhelfer observiert. Der Fall wurde aber nicht weiterverfolgt. Fälschlicherweise sei der heute 37-jährige lediglich als Mitläufer eingestuft worden, sagte Verfassungsschutzpräsident Hans Wargel in Hannover. Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sagte: „Hier drängen sich einige Fragen auf, warum beim Begriff Rechtsterrorismus nicht alle Alarmglocken angegangen sind.“

In Baden-Württemberg wurde indes bekannt, dass die Polizei am Tag des Mordes an der Polizistin Michéle Kiesewetter in Heilbronn ein Wohnmobil mit einem Kennzeichen aus Ostdeutschland notierte. Nach dpa-Informationen wurde nun festgestellt, dass der Anmieter Holger G. war. Wäre damals intensiv ermittelt worden, wer das Fahrzeug gemietet hatte, hätte die Polizei auf die Spur der Terrorgruppe kommen können, berichtet dazu der „Tagesspiegel“ über Überlegungen in Sicherheitskreisen.

Holger G. sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Er soll dem mutmaßlichen Zwickauer Terror-Trio 2007 seinen Führerschein und Reisepass zur Verfügung gestellt und mehrfach Wohnmobile angemietet haben.

Mundlos und Böhnhardt sind mittlerweile tot, sie haben sich laut Polizei selbst umgebracht. Zschäpe sitzt in Untersuchungshaft in Köln, wie ein Sprecher des NRW-Justizministerium Informationen des ZDF bestätigte. Sie hat bisher nicht ausgesagt. Das Trio wird für zehn Morde verantwortlich gemacht: An acht türkisch-stämmigen Männern, einem Mann griechischer Herkunft und der jungen Polizistin.

Es sind aber immer noch viele Fragen offen. Darunter auch, ob und warum Politiker im Visier des Neonazi-Trios gewesen sind. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jerzy Montag bestätigte, dass sein Name ebenso wie der des CSU-Abgeordneten Hans-Peter Uhl auf einer Liste stand, die als USB-Stick im abgebrannten Wohnhaus der mutmaßlichen Rechtsterroristen in Zwickau gefunden wurde. Nach Ansicht Uhls ist es kein Zufall, dass er und Montag beide aus München stammten. „Da muss es einen Link nach München geben.“

Das Bundeskriminalamt (BKA) bestätigte den Fund der Liste. Es gebe nach bisherigen Ermittlungen aber keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Liste im Zusammenhang mit konkreten Anschlagsplänen stehen könnte. Insgesamt standen laut Montag 88 Posten auf der Liste: Namen, Organisationen und andere Angaben. „Das ist ein sehr beklemmendes Gefühl“, sagte der Grünen-Politiker der Nachrichtenagentur dpa. „Die wollten mir sicher keine Weihnachtsgrüße schicken.“

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will jetzt gefährliche Neonazis in einem neuen Zentralregister erfassen. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Datenschützer sind allerdings skeptisch. Die Neonazi-Datei soll frühestens Anfang nächsten Jahres kommen. Viele Fragen und Details dazu sind noch offen, wie ein Sprecher Friedrichs sagte.

Die Ermittler gehen nach Angaben des amtierenden Generalbundesanwalts Rainer Griesbaum bislang davon aus, dass die Terrorgruppe nur aus drei Menschen bestand: Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Holger G., gegen den Haftbefehl erlassen worden sei, gelte als Unterstützer. Es werde untersucht, ob dem Trio weitere Taten zur Last gelegt werden müssten, sagte Griesbaum den „Badischen Neuesten Nachrichten“ - darunter das Attentat auf den damaligen Passauer Polizeichef Alois Mannichl, der im Dezember 2008 niedergestochen wurde.

Beim Bundesamt für Verfassungsschutz werde eine „lageorientierte Sonderorganisation“ von 30 Mitarbeitern eingerichtet, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Geprüft werde, wo sich untergetauchte Rechtsextremisten aufhalten. „Dazu gehört auch, dass wir rechtsextremistische Kameradschaften überprüfen werden.“ Dazu werde eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet.

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