Lance Armstrong - der gefallene Supermann

Berlin (dpa) - Lance Armstrong hasst Verlieren. Der Mann betrachtet das Leben nach eigenen Worten als immerwährenden Wettkampf. Die öffentliche Demontage nach den massiven Doping-Anschuldigungen empfand sogar der krisengestählte Texaner als schmerzhaft.

Am Montag bekam der 41-Jährige die nächste Quittung für seine Lebenslüge: Der Radsport-Weltverband UCI erkannte Armstrong alle sieben Tour-de-France-Titel ab und sperrte ihn lebenslang. UCI-Boss Pat McQuaid erklärte, der gefallene Rad-Held habe es verdient, vergessen zu werden.

Noch am Freitag hatte Armstrong mit Freunden und Hollywood-Stars in seiner Heimatstadt Austin die Jubiläumsgala zum 15-jährigen Bestehen seiner Krebsstiftung „Livestrong“ gefeiert. „Es ging mir schon mal besser, aber auch schon mal schlechter“, hatte er in seiner Rede vor den knapp 1500 Gästen zugegeben und dabei gelächelt. Armstrong lächelt gern, wenn er unter Druck steht.

Von allen Supermann-Geschichten des modernen Hochleistungssports war die Story des Lance Armstrong stets die unglaublichste. Dass ein Radprofi an Krebs erkrankt, schon Metastasen im Gehirn und in der Lunge hat, dann wieder gesund wird und siebenmal die Tour de France gewinnt - das würde man einem Schriftsteller einfach nicht abkaufen. Jetzt allerdings, da Armstrong den jahrelangen Kampf gegen Dopingbeschuldigungen verloren hat, stellt sich die Frage, ob die Erfolgsbiografie des gestürzten Supermanns nicht doch auf Fiktion beruhte.

Armstrong ist ein Sportler, der Millionen faszinierte und immer noch fasziniert. Seine Autobiografie wurde ein internationaler Bestseller. Alle wollten wissen: Wie tickt dieser Mann? Einblick in seine Seele gewährte er allerdings nicht. Die Memoiren sind eine Aneinanderreihung von Erfolgsgeschichten.

Und wenn mal etwas misslang, so wie die Traum-Ehe mit der Langstreckenläuferin Kristin Richard, ging Armstrong lapidar darüber hinweg: „Auseinandergelebt“ hätten sie sich einfach. Für den europäischen Geschmack trat er immer etwas zu selbstbewusst auf, weshalb er dort ein ungeliebter Held geblieben ist. „Ich weiß, dass ich polarisiere“, gab er zu. „Manche Menschen mögen mich halt nicht.“

In einem Punkt sind sich Fans und Kritiker einig: Armstrongs beherrschender Charakterzug ist die Erfolgsbesessenheit. Sein Credo lautet: „Schmerz ist vergänglich, Aufgeben hält ewig.“ Er fürchte nur den Misserfolg, sagt er, und das darf man ihm glauben. Am deutlichsten zeigte es sich, als 1996 bei ihm Hodenkrebs in fortgeschrittenem Stadium festgestellt wurde. „Mir wurde eine Überlebenschance unter 40 Prozent gegeben“, zitierte ihn die „Ärzte Zeitung“. Dennoch wählte er seine Chemotherapie danach aus, dass sie die Lungen am wenigsten schädigen durfte, sonst hätte er kein Rennen mehr fahren können. Die Angst vor dem Verlieren war größer als die Angst vor dem Tod.

Armstrongs unbedingter Erfolgswille lässt sich bis in seine Kindheit zurückverfolgen. Als er zwei Jahre alt war, verließ sein Vater die Familie, der Stiefvater soll ihn immer wieder verprügelt haben. Sein Fluchtweg waren endlose Radtouren. „Wenn ich nur lang genug radle, dann führt mich diese Straße aus meinem Elend heraus“ - diesen Gedanken habe er schon als Kind gehabt, erinnerte er sich später. Als sich die ersten sportlichen Erfolge einstellten, erfuhr er zum ersten Mal im Leben Anerkennung. Damals muss er verinnerlicht haben, dass man sich im Leben abstrampeln muss, um geliebt zu werden.

Am Montag wurde Armstrong lebenslang gesperrt. Zurück bleibt nicht mehr der erfolgreichste Tour-Starter, sondern der größte Skandal der Radsportgeschichte. Ein Mann, dem der Erfolg alles bedeutet, der sogar in die Politik strebte und Gouverneur werden wollte, wird die größte Niederlage seiner Karriere wegstecken müssen. Es klingt hilflos, wenn Armstrong darauf beharrt, an seinen Tour-Erfolgen könne niemand etwas ändern. Er sieht sich als Opfer einer „Hexenjagd“. Tatsächlich wird es immer einsamer um ihn herum. Sponsoren haben sich abgewandt, Armstrong drohen Schadensersatzklagen in Millionenhöhe.

Könnte es sein, dass er jetzt wirklich das Rampenlicht meidet und künftig einfach Privatmann sein will? Schon einmal, bei seinem ersten Rückzug 2005, hatte Armstrong erklärt, er wolle jetzt „Wein trinken, viel essen, kein Rad anfassen, im Pool mit den Kindern planschen“. Und schon damals hat ihm das niemand geglaubt. Denn wenn er das könnte, wäre er nicht Lance Armstrong.

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