Nazi-Terror macht Türkei misstrauisch: „Kücük Adolf“

Istanbul (dpa) - Eben noch feierten Politiker 50 Jahre Migration aus der Türkei nach Deutschland. Nun wirft der blutige Terror von Neonazis einen dunklen Schatten. Und die ungeklärte Rolle eines früheren deutschen Verfassungsschützers in dem Fall macht misstrauisch.

Für die türkischen Medien scheint eine Verstrickung des Mannes, der auch als „kücük Adolf“ („kleiner Adolf“) bezeichnet wird, schon ausgemachte Sache zu sein. Der Spitzname gilt einem zweifelhaften hessischen Nachrichtenmann, der eine dubiose Rolle gespielt haben könnte und bei dem einst eine Ausgabe von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ gefunden worden war.

Die türkische Regierung hat zunächst abgewartet. Jetzt fordert das Außenministerium in Ankara von den deutschen Behörden mehr Anstrengungen, um die Verbrechen aufzuklären. Die Ermittlungen müssten ohne Rücksicht auf mögliche Verwicklungen vorangebracht werden, zitierte die Nachrichtenagentur Anadolu eine Erklärung. Nötig sei auch mehr Engagement gegen extremistische Strömungen in Deutschland.

Dass die Aktivitäten der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) jahrelang unentdeckt geblieben sein sollen, macht in der Türkei misstrauisch. Immerhin wird die Bande für eine Serie von zehn Morden, Banküberfällen und Sprengstoffanschlägen verantwortlich gemacht. Mögliche Versäumnisse der Sicherheitsbehörden geben dem Fall nun eine zusätzliche Dimension.

„Exekution des Türken in Gegenwart eines Agenten“, schreibt die türkische Tageszeitung „Hürriyet“. „Mit neuen Entdeckungen wird der deutsche Neonazi-Skandal jeden Tag größer.“ Genau verfolgt das Blatt die deutsche Diskussion um das politisch motivierte Serienverbrechen und eine mögliche Verwicklung von Behördenvertretern.

„Erschreckende Verbindungen zum Geheimdienst“, stellt die Tagezeitung „Radikal“ fest. „In Deutschland hat ein Spitzel die Mörderbande gebildet, die Türken zum Ziel nahm“, schreibt das Blatt schon. Dass der Agent nachträglich mehrfach in der Nähe von Tatorten geortet worden sein soll, gilt türkischen Medien als weiterer Beweis für dunkle Mächte.

„Tiefer Nazi“, lautet eine Überschrift der Tageszeitung „Takvim“. Das ist eine Anspielung auf den sogenannten tiefen Staat in der Türkei. Dabei handelt es sich um kriminell agierende, nationalistische Kreise in Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden, die lange Zeit mit Anschlägen und Morden gegen vermeintliche Feinde der Türkei vorgegangen sein sollen. Gegen dutzende Angeklagte laufen in der Türkei Gerichtsverfahren.

Auf Deutschland übertragen wurde dies in etwa bedeuten, dass es innerhalb von Polizei und Geheimdiensten rechtsradikale Gruppen gibt, die Anschläge auf Ausländer organisieren oder dazu anstiften. Das mag aus deutscher Sicht weit hergeholt sein. In der Türkei fallen Verschwörungstheorien aber leicht auf fruchtbaren Boden.

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