Report: 1000 Kilometer Sturmfront schockt die USA

New York (dpa) - Mit ohrenbetäubendem Gebrüll stürzt sich der Wirbelsturm „Sandy“ auf New York. Ungläubig müssen Polizisten am späten Montagabend (Ortszeit) zusehen, wie der Battery-Tunnel vollläuft.

Nordamerikas längster Straßentunnel, der Manhattan über drei Kilometer mit Brooklyn verbindet, füllt sich in Sturzbächen. Wirbelsturm „Sandy“ verwandelt die Metropole, die angeblich nie schläft, in eine dunkle Geisterstadt. Stundenlang gibt es kaum eine Spur menschlichen Lebens.

Dabei sind die sturmerprobten New Yorker erst noch trotzig. „Zieh weiter, Sandy“ steht auf einer Bretterwand, mit der in der Upper East Side ein Laden vernagelt ist. Und als die New Yorker Stadtautobahnen geschlossen werden, spazieren Hunderte Menschen trotz des ersten Regens über die sechsspurigen Schnellstraßen. „So schlimm wird's schon nicht werden“, sagt ein älterer Mann mit beruhigendem Lächeln.

Die Behörden wussten es besser: „Draußen ist es gefährlich. Heute ist ein guter Tag, um zu Hause zu bleiben und vor dem Fernseher ein Sandwich zu essen“, hatte Bürgermeister Michael Bloomberg den New Yorkern empfohlen. Die Stadt verlockte auch niemanden: Die Theater am Broadway, das Empire State Building, die Kasinos im Umland - alles dicht. „Es wird ein sehr nasser Tag“, warnte Bloomberg.

Doch „Sandy“ hatte New York schon in seiner Gewalt, als er noch gar nicht da war. Schon Stunden, bevor er auf die Küste traf, sorgte er mit einer 1000 Kilometer breiten Sturmfront für starken Regen und erste Überflutungen. Die New Yorker harrten hinter mit Klebestreifen gesicherten Fenstern aus und schauten am Fernseher zu, wie zuerst die schmalen Inseln vor der Küste umspült und dann überschwemmt wurden.

Da war bei einigen schon für Stunden der Strom weg. Der Finanzdistrikt Süd-Manhattan war die ganze Nacht in gespenstisches Dunkel gehüllt. Und das könnte die nächsten Nächte so bleiben. „Das Wasser muss erst einmal ablaufen. Und das kann dauern“, sagte Bloomberg. An der ganzen Ostküste waren zumindest zeitweise um die sieben Millionen Menschen ohne Strom.

Mehr als ein Dutzend Menschen hat die Nacht nicht überlebt. Der erste „Sandy“-Tote in New York war ein 29 Jahre alter Mann, der von einem Baum erschlagen wurde - in seinem eigenen Haus. Die Urgewalten des Sturms hatten den gewaltigen Baum einfach mitsamt der Wurzel und hunderten Kilogramm Erdreich aus dem Boden gehoben. Wenig später starben ganz ähnlich zwei Kinder, die im ersten Stock eines Hauses nördlich von New York gespielt hatten. „Sie waren noch keine 14 Jahre alt“, sagte eine Reporterin und kämpfte sichtbar mit den Tränen.

Dabei wurde New York nicht einmal direkt getroffen. Der Sturm traf in der Spielerstadt Atlantic City auf die Küste, überschwemmte die Kasinos und spülte einen Teil des Boardwalks, einer klassischen Holzpromenade, weg. Dann wanderte er landeinwärts, um in der Nacht eine „verrückte Drehung“ (Meteorologe Lonnie Quinn) zu machen und nach Norden zu wandern. New York hat „Sandy“ dann südlich und westlich umrundet - und dennoch schon in der ersten Stunde fünf Menschen das Leben gekostet.

Am Morgen danach hängen Männer an Kränen, um Kabel zu flicken. Andere kehren den Schlamm weg, den East und Hudson River auf die Stadtautobahnen getragen haben. An normalen Verkehr ist noch lange nicht zu denken, die Tunnel für Autos und U-Bahnen stehen mehr als einen Meter unter Wasser. Doch was den New Yorkern bleibt, ist ihr Optimismus. Am Morgen stand ein gewaltiger, in allen Farben strahlender Regenbogen über der Stadt.

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