Estland: Der Euro als Weihnachtsgeschenk

Baltisches Land führt zum Jahreswechsel die Gemeinschaftswährung ein.

Tallinn. Ein Plastiktütchen mit 42 Euromünzen im Wert von 12,79 Euro ist das Standard-Weihnachtsgeschenk in Estland. 600.000 „Starter-Kits“ hat die Regierung vor der Einführung der EU-Währung am 1. Januar in Umlauf gebracht, damit die 1,3 Millionen Bürger sich auf den Nachfolger ihrer Krone einstellen können.

Die Wirtschaft des Baltikum-Staates gilt als bestens vorbereitet. „Was Haushaltsdisziplin angeht, sind die Esten wahre Musterknaben“, lobt EU-Kommissar Olli Rehn.

Tatsächlich erfüllt Estland, das als einziges Land zum Jahreswechsel umstellt, nach ungewöhnlich harten Sparrunden die Beitrittsbedingungen für den Euro so souverän wie kein anderes der bisher 16 Länder mit EU-Währung.

Von einem Haushaltsdefizit von nur 1,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und Staatsschulden von 7,2 Prozent vom BIP können die meisten Euroländer nur träumen. Die Teuerungsrate hat aber kräftig angezogen und liegt mit fünf Prozent hoch. Schon 2007 hätten die Esten um ein Haar den Beitritt zum Euro geschafft, scheiterten aber an der hohen Inflation.

Seitdem haben die Bürger des wirtschaftlich erfolgreichsten Staates im Baltikum mit erstaunlicher Ruhe eine wirtschaftliche Wahnsinns-Tour hinter sich gebracht. Nach mehreren Jahren als „Tigerökonomie“ mit zweistelligen Wachstumsraten brachte der Ausbruch der Finanzkrise 2008 fast so etwas wie den freien Fall mit einem Rückgang des BIP von 5,1 Prozent und 2009 von 13,9 Prozent.

Statt aber, wie von vielen erwartet, den Sturz durch eine Abwertung der an den Euro gebundenen Krone zu bremsen, entschied sich die Regierung des liberalen Ministerpräsidenten Andrus Ansip für einen harten Sparkurs.

Bezahlen mussten unter anderem die Beschäftigten im öffentlichen Dienst mit Einkommenskürzungen um 20 Prozent. Im Privatsektor sanken die Löhne um bis zu 40 Prozent. Die Arbeitslosigkeit verdoppelte sich auf fast 15 Prozent. Anders als in Lettland oder später in Griechenland gab es kaum lautstarke Proteste aus der Bevölkerung.

Inzwischen läuft die Wirtschaft wieder mit voller Kraft. Von Begeisterung über die neue Währung ist im Alltag trotzdem wenig zu spüren. Vor allem der Zeitpunkt der Umstellung gilt als Grund für die Skepsis. „Wir kamen vor gerade mal 20 Jahren von der zerbröckelnden Sowjetunion frei. Jetzt binden wir uns an eine bröckelnde Währungs- Union“, sagt Euro-Gegner Martin Helme. Und sieht finstere Zeiten auf Estland zukommen: „Vor allem werden wir für die Schulden anderer aufkommen müssen.“

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