EZB lässt Leitzins auf Rekordtief von 0,75 Prozent

Frankfurt/Main (dpa) - EZB-Präsident Mario Draghi hat wichtige Fortschritte in krisengeschwächten Euroländern ausgemacht, fordert aber weitere Anstrengungen. Um die Krise zu überwinden, hätten Italien und Spanien noch viel mehr zu tun, sagte der Präsident der Europäischen Zentralbank am Donnerstag in Frankfurt.

Der Rat der Notenbank beschloss auf seiner Novembersitzung keine weiteren Maßnahmen und ließ auch den Leitzins im Euroraum auf dem Rekordtief von 0,75 Prozent. Ob die Geldpolitik angesichts der Rezession im Euroraum in den kommenden Monaten weiter gelockert wird, ließ er offen. Für LBBW-Ökonom Jens-Oliver Niklasch zeichnete Draghi ein Bild, nach dem die Tür für eine weitere Zinssenkung offen bleibt - wohl aber noch nicht im Dezember.

Wie von Experten erwartet, sehen die Notenbanken ihre Hausaufgaben vorerst als erledigt an. Das angekündigtes Programm zum notfalls unbegrenzten Kauf von Staatsanleihen klammer Euroländer hatte die Risikoaufschläge auf spanische und italienische Anleihen deutlich gesenkt - ohne dass die EZB auch nur ein Staatspapier gekauft hat.

Mit dem Programm soll die Zinslast für angeschlagene Schwergewichte wie Spanien und Italien gedrückt werden. Es setzt voraus, dass ein Land unter einen europäischen Rettungsschirm schlüpft und somit Reformvorgaben einhalten muss. Als heißester Kandidat für das Programm gilt Spanien. Noch ziert sich die Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy aus Sorge um harte Auflagen, Hilfen zu beantragen. Draghi betonte, das Programm stehe bereit und könne jederzeit aktiviert werden: „Der Ball liegt jetzt im Feld der Regierungen, nicht der EZB.“

Draghi sieht die bisherige Krisenpolitik der Notenbank als Erfolg. Das Vertrauen der Finanzmärkte habe sich erholt, die Finanzierungsbedingungen seien gelockert worden, und zudem fließe wieder Geld aus Drittländern in den Euroraum - auch in spanische oder italienische Staatsanleihen. Vor allem US-Geldmarktfonds seien zurückgekehrt. Dennoch sei die Notenbank weiterhin unzufrieden: „Oberste Priorität hat für uns, die Übertragungsmechanismen für unsere Geldpolitik zu reparieren.“ Die EZB beklagt seit längerem, dass ihre niedrigen Zinsen wegen der Verwerfungen an den Finanzmärkten bei vielen Banken und Verbrauchern nicht ankommen.

Europas oberster Währungshüter lobte die begonnene Korrektur bei den Lohnstückkosten und Handelsungleichgewichten im Währungsraum. Auch Sparanstrengungen der Regierungen trügen erste Früchte. Zeit zum Durchschnaufen gibt es aber nicht. Draghi forderte weiteren Defizitabbau und Reformen, um die Arbeitsmärkte zu liberalisieren: „Strukturreformen sind entscheidend, um Wachstumspotenziale zu heben und die Beschäftigung zu steigern.“

Hoffnung auf ein baldiges Anziehen der Konjunktur sollten sich die Staaten mit klammen Kassen aber nicht machen. Die Wirtschaft des Euroraums wird sich nach Einschätzung der EZB nur langsam von der Schuldenkrise erholen. Auch Ende 2012 und im kommenden Jahr dürfte das Wachstum im Währungsraum schwach bleiben, sagte Draghi: „Die Erholung der Eurozone wird langsam, allmählich und solide.“

Die Inflationsrisiken beurteilt die Notenbank als ausgewogen. Die Inflationsrate werde im Laufe des kommenden Jahres wieder unter die Warnschwelle der EZB von knapp zwei Prozent sinken. Zurzeit liegt die Teuerung in den Euroländern mit 2,5 Prozent deutlich darüber.

Die Rezession im Euroraum spricht eigentlich für eine Lockerung der Geldpolitik. Andererseits ist Zentralbankgeld für Banken aber bereits so günstig wie nie seit Einführung des Euro 1999. Deshalb ist der Effekt einer weiteren Zinssenkung umstritten. Andreas Martin, Vorstand des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken sagte: „Die geldpolitische Schraube sollte nicht zu weit herausgedreht werden.“ Lange anhaltende Niedrigzinsen könnten zu Übertreibungen bei den Vermögenspreisen führen, Sparanreize schwächen und eine übermäßige Kreditaufnahme fördern.

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