Hermès: Die Werkstatt des Luxus

In den Hermès-Ateliers bei Paris entstehen elegante Kult-Taschen zu schwindelerregenden Preisen. Ein Blick hinter die Kulissen.

Paris. Die Geburt einer Hermès-Handtasche entpuppt sich als echter Kraftakt. Pascal Vautier weitet die Nasenflügel, presst die Lippen zusammen und pumpt seinen Bizeps auf wie ein Bodybuilder. Er zieht und zupft, zerrt und drückt. Solange, bis die Tasche „retourniert“ - von links auf rechts gezogen — ist.

Dann, nach einigen Minuten, hellt sich sein leicht gerötetes Gesicht auf. „Voilà, geschafft!“, sagt der Täschner nach bestandenem Stresstest und stellt das kostbare Baby lächelnd auf den Werktisch. Es ist eine zitronenfarbene „Kelly Bag“, der Kult-Klassiker des Hauses.

In Pantin, in der Leder-Manufaktur des französischen Luxusgüterkonzerns, unmittelbar vor den Toren von Paris, scheint die Zeit still zu stehen. Den Begriff Manufaktur darf man getrost wörtlich nehmen, denn die lichtdurchfluteten Etagen haben sie zur maschinenfreien Zone erklärt. Hier herrscht Handwerk pur. Nicht nur, dass die Werkzeuge der Täschner völlig antiquiert aussehen, sie haben auch noch höchst fremdartig klingende Namen wie Halbmondmesser, Rundahle und Kantenzieher. Gerätschaften, die im digitalen i-Pad-Zeitalter unendlich archaisch wirken — so wie ein Faustkeil aus dem Steinzeit-Museum. Ein urig-warmes Wohlgefühl vermitteln sie trotzdem.

Sie nennen sich Täschner, dabei träfe es „Lederkünstler“ viel besser. Denn jede Tasche trägt eine individuelle Handschrift, in jeder steckt persönliche Leidenschaft, jede ist ein Unikat — ausgewiesen durch die Signatur, die sie ganz am Ende einstanzen. Auf absolute Perfektion getrimmte Handwerker schaffen weltweit einmalige Luxusprodukte, die faszinierend elegant, beinahe anrührend schön, dafür aber auch schwindelerregend teuer sind. So unerreichbar für den Otto-Normalverbraucher wie ein Rolls-Royce oder ein Wochenende in der Präsidentensuite des „Ritz“.

Das Einstiegsmodell, die kleine „Kelly“ aus Kalbsleder, kostet noch relativ bescheidene 3800 Euro - der Monatslohn eines Ingenieurs. Straußenleder ist in der Regel doppelt so teuer. Und wenn australische Jung-Krokodile ihre besonders soliden Häute hergeben, schnellt der Preis auf der nach oben offenen Preis-Skala explosionsartig in die Höhe.

„Was für ein Prachtstück“, staunt selbst Isabelle Arnardi, die Produktmanagerin für Taschen und Leder, als sie im Koffer-Atelier die soeben fertig gestellte „Birkin 50“ aus matt-braunem Kroko-Leder in Augenschein nimmt. Die meisten Täschner tragen vorsichtshalber weiße Handschuhe. „Damit die schwitzende Hand bloß keinen hässlichen Abdruck hinterlässt“, sagen sie.

Fünfzig Zentimeter misst dieser dunkelbraune Taschen-Wahnsinn: eine bequeme Tasche mit viel Stauraum - ideal für die Reise. Heller Wahnsinn ist auch ihr Preis: Fünfundfünfzigtausend Euro kostet dieses Liebhaberstück. Mon Dieu! „Teuer?“, fragt Isabelle Arnardi, um mit einem Augenzwinkern gleich selbst die Antwort zu geben. „Nein, nur kostbar.“ Nun ja, fürs selbe Geld gibt’s beim Mercedes-Händler einen nagelneuen SLK 350 mit 306 PS, 7er-Automatik, Navi, Klima und Sitzheizung.

Luxusprodukte wie die von Hermès veredeln den Alltag der Reichen und Schönen, es ist eine Welt von Glitzer und Glamour, Eleganz und Extravaganz. Hinter den Kulissen, in der Welt von Pantin, in der Werkstatt des Luxus, geben hingegen andere Werte den Ton an: Fleiß und Disziplin, Geschick und Professionalität. „Ehe jemand seine erste Tasche anfertigen darf, wird er mehrere Jahre systematisch trainiert“, betont Isabelle Arnardi.

Die ersten beiden Lehrjahre geht der angehende Täschner in die hauseigene Lehrwerkstatt. So mancher holt sich blutige Finger, wenn er — Stich für Stich — die erste gerade Linie nähen muss. Im dritten Jahr darf er dem Meister zum ersten Mal zuarbeiten. Erst danach, im vierten oder fünften Jahr, drücken sie ihm die blaue Plastikwanne in die Hand, in die die Zuschneider ausgestanzte Lederteile: Material für zwei Taschen — im Fall einer „Kelly“ ein Puzzle aus exakt 44 Teilen.

Zusammen mit den Sattlern vom Stammsitz in der vornehmen Pariser Faubourg Saint-Honoré sind es die Täschner, die die stolze Tradition des bald 175 Jahre alten Familienunternehmens verkörpern. Selbst wenn der Konzern mit der florierenden Parfümsparte und den Seidenschals, den berühmten „Carrès“, möglicherweise viel höhere Renditen erzielt: Die Leder-Equipe ist die Seele des Geschäfts. Eines, das der in Krefeld geborene Thierry Hermès in Paris in der Nähe der Madeleine im Jahre 1837 aus der Taufe hob.

Er verkaufte Sättel und Zaumzeug, später kamen hochwertige Koffer und Reisetaschen hinzu — zuerst für die Kutsche, dann für den Orient-Express. Damit war das Fundament des Luxusgüterkonzerns geschaffen, der heute immer noch die Hälfte seines 2,4-Milliarden-Euro Umsatzes mit seiner Sattlerei und den Lederwaren bestreitet. Das zweite Standbein besteht aus Bekleidung und Accessoires, Parfüm und Uhren, Textilien und Einrichtung.

Im Verlauf von zwei Jahrhunderten haben die Lederkünstler einen Mythos geschaffen, um den sich zahlreiche Anekdoten ranken. Die „Kelly Bag“, die wohl berühmteste Handtasche der Welt, verdankt ihren Namen der amerikanischen Schauspielerin Grace Kelly, der späteren Fürstin Gracia Patricia von Monaco. Wir schreiben das Jahr 1956. Die Hollywood-Schönheit benutzt die Krokodil-Handtasche bei jeder Gelegenheit, um die Rundungen ihrer Schwangerschaft zu verbergen.

So landet sie auf der Titelseite des Magazins „Life“, ein Bild, das um die Welt geht - und Hermès dazu veranlasst, die Tasche fortan „Kelly Bag“ zu nennen. Mittlerweile gehören zur „Kelly Family“ über zweihundert verschiedene Kombinationen je nach Farbe, Material und Design. Audrey Hepburn fuhr ebenso darauf ab wie Marlene Dietrich und Catherine Deneuve. Ihre jüngere „Cousine“, ebenfalls längst ein Handtaschenklassiker, ist die „Birkin Bag“, benannt nach der Sängerin und Schauspielerin Jane Birkin, die mit Serge Gainsbourg den berühmten Hit „Je t’aime“ sang.

Es herrscht eine angenehme Ruhe in den Ateliers, das allgegenwärtige Leder verströmt einen markanten Duft — wie eine Art Hausparfüm. Die Täschner wissen, dass sie zur Champions League der Lederzunft gehören. Aber von arrogantem Gehabe keine Spur, man ist selbstbewusst und lässig, irgendwie cool. Die meisten hören Musik aus dem Kopfhörer und versinken - ganz konzentriert auf die Tasche - in eine eigene Welt.

Nadia Amazouz arbeitet gerade an den Griffen für eine „Birkin“. „Zwei Stunden brauche ich dafür“, sagt sie. Ein eherner Grundsatz: Jeder arbeitet zur selben Zeit stets an zwei Taschen, mindestens fünfzehn Stunden benötigt er dafür, bei größeren bis zu neunzehn. Eine Zeitspanne, in der die Fabriken chinesischer Billigproduzenten wahrscheinlich einen ganzen Schiffscontainer voller Ramschtaschen ausspucken.

Nadias Nachbarin reibt gerade mehrere Meter Leinenfaden mit Bienenwachs ein, damit er später leichter durchs Leder geht. Pascal Vautier raut nun eine Kante mit feinem Schleifpapier auf, um sie danach mit einem heißen Eisen und Bienenwachs zu glätten und zu versiegeln. Der nächste bearbeitet bei der „Perlage“ einen winzigen Metallstift solange mit feinen Hammerschlägen, bis sich das Ende zu einem rundierten Kopf ausformt. Dutzende filigraner Handgriffe sind es, die sich beim Hermès-Taschen-Puzzle zu vielen Stunden addieren — wie bei der Entdeckung der Langsamkeit.

„So präzise wie die Hand unserer Täschner ist keine Maschine“, sagt Isabelle Arnardi. Der doppelte Sattlerstich ist übrigens exakt derselbe wie 1837. Der Kult um die Handarbeit plus die Exklusivität des Leders — ergibt das die magische Luxus-Formel des Hauses? „Nicht nur“, ergänzt die Leder-Expertin von Pantin, die dezent darauf hinweist, dass sie das Wort Luxus bei Hermès eigentlich nur mit einer Ausnahme verwenden. Und die wäre? „Nun“, sagt Isabelle Arnardi, „der wahre Luxus bei uns ist die Zeit.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort