Indien zwingt Bayer zur Patent-Weitergabe

Das Land argumentiert, das Krebsmedikament Nexavar sei für Indiens Arme zu teuer.

Leverkusen. Das indische Patentamt hat eine weltweit einzigartige Entscheidung in Bezug auf Arzneimittel getroffen. Der Bayer-Konzern wird gezwungen, sein geschütztes Patent für ein Medikament gegen Krebs an die indische Firma Natco weiterzugeben.

Der Wirkstoff Sorafenib, den Bayer unter dem Markennamen Nexavar verkauft, sei für arme Patienten nicht erschwinglich, argumentierte die Behörde „Controller of Patents“. Eine Behandlung mit Nexavar kostet in Indien pro Monat 5500 US-Dollar (4200 Euro). Mit der legalen Kopie würde der Betrag auf 175 US-Dollar (134 Euro) sinken. Eingesetzt wird das Medikament vor allem gegen Leber- und Nierenkrebs.

Das Urteil stützt sich auf eine Besonderheit im indischen Patentrecht: Ein Arzneimittelhersteller darf drei Jahre nach Einführung eines patentgeschützten Medikaments ein Generikum (Kopie) anbieten, wenn das Original für „einfache Menschen mit einem geringen Einkommen“ zu teuer ist. Dafür muss er an den Inhaber der Patentrechte, in diesem Fall Bayer, eine vergleichsweise günstige Lizenzgebühr entrichten. Für Sorafenib liegt diese bei sechs Prozent der Verkaufserlöse.

Die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ begrüßte die Entscheidung. „Wir haben den Fall beobachtet, weil als Folge des Patentschutzes auch neuere HIV/Aids-Medikamente in Indien für viele Menschen unerschwinglich sind“, sagte Abteilungsleiter Tido von Schön-Angerer.

Bayer prüft nun juristische Schritte, Details nannte der Konzern nicht. Laut Bayer-Chef Marijn Dekkers kostet die Erforschung und Entwicklung eines Medikaments „eine Milliarde Euro und mehr“. Auch der Verband forschender Arzneimittelhersteller kritisiert die Entscheidung. „Man muss bezweifeln, dass dies dem deklarierten Ziel dient, dass neue Medikamente auch Indiens Arme erreichen“, sagte ein Sprecher auf Anfrage unserer Zeitung.

Gleichzeitig signalisiere die Entscheidung Anbietern von Originalmedikamenten, dass sich in Indien die Kosten kaum refinanzieren lassen, weil Patente jederzeit für unwirksam erklärt werden können. Das könnte dazu führen, dass einige Unternehmen in Zukunft nicht mehr alle ihre Medikamente in Indien verkaufen. Dort werden jährlich drei Milliarden US-Dollar mit Arzneimitteln umgesetzt.

Betroffen von Zwangslizenzen können alle Hersteller sein, die auf dem indischen Markt patentierte Medikamente anbieten. Diese aus dem Handel zu nehmen, würde nichts ändern.

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