Interview Thomas Sattelberger: „Die Frauenquote ist ein Symbol“

Bei der Telekom führte Thomas Sattelberger vor fünf Jahren eine freiwillige Quote ein. Jetzt blickt er zurück.

Thomas Sattelberger

Thomas Sattelberger

Foto: Thomas Ollendorf

Düsseldorf. Thomas Sattelberger hat etwas zu sagen. Das macht der Ex-Telekom-Personalchef, der als Initiator der Frauenquote gilt, schon im Titel seiner Autobiografie klar: „Ich halte nicht die Klappe.“ Im Interview spricht der 66-Jährige über die Notwendigkeit der Quote, Frauenförderung und neue Herausforderungen.

Herr Sattelberger, Sie sind seit zwei Jahren im Ruhestand, im Februar haben Sie Ihre Autobiografie veröffentlicht. War jetzt Zeit für einen Schlussstrich?

Thomas Sattelberger: Ich dachte, ich bin alt genug, um eine Biografie zu schreiben, aber noch nicht alt genug, um eine Schlussbilanz zu ziehen. In meinem Buch beschreibe ich das, was ich seit meinem sechsten Lebensjahr gemacht habe - von der Ausbildung bis zum Manager. Jetzt bricht eine neue Phase an, darüber schreibe ich dann vielleicht in zehn oder 15 Jahren.

In „Ich halte nicht die Klappe“ platzieren Sie viele Themen, mit denen Sie sich in den letzten Jahren beschäftigt haben.

Sattelberger: Ja, es geht unter anderem um meine Vorstellung einer offenen Gesellschaft, Unternehmen, die sich dem Gemeinwesen verpflichtet fühlen und darum, durch Bildung klügere Entscheidungen und Teilhabeprozesse in der Wirtschaft und Gesellschaft zu ermöglichen.

Was kommt in der nächsten Phase?

Sattelberger: Unternehmen sind für mich jetzt kein Thema mehr, ich war fast 40 Jahre Manager. Jetzt habe ich Lust und Kraft, eine neue Herausforderung zu wagen. Ich überlege mir ernsthaft, ob ich mich in die Politik einbringe, vielleicht beim wieder Starkmachen einer neuen FDP. Denn die Themen Freiheit, Bildung und Talent sind zentral für mich.

Die Personalpolitik haben Sie bereits entscheidend geprägt. Die Telekom hat 2010 unter ihrem Einfluss eine freiwillige Frauenquote eingeführt. Warum braucht Deutschland die Quote?

Sattelberger: Es ist schade, dass Deutschland eine Frauenquote nötig hat. 1995 war ich auf einer internationalen Konferenz zum Thema Diversität der einzige Deutsche, 2001 haben Arbeitgeberverbände eine Verpflichtung abgegeben, in der es unter anderem um das Thema Frauenförderung geht; seitdem wurden nur Millimeterfortschritte gemacht. Das betrifft nicht nur Unternehmen, sondern auch öffentliche Verwaltungen und lange auch die Parteien. Die Debatte ist eine Geschichte der Lippenbekenntnisse und des Nichtstuns.

Jetzt ist die Quote da und Frauen in Führungspositionen fühlen sich diskriminiert, weil sie keine Quotenfrau sein wollen.

Sattelberger: Doch nicht wegen der Quote! Die Alternative wäre doch, dass es einen Großteil der künftigen Karriere machenden Frauen gar nicht gäbe, weil sie an der gläsernen Decke gescheitert wären. Niemand kann aus seinem individuellen Erfolg schließen, dass es alle schaffen. Die Debatte um die Quotenfrau ist eine hässliche. Aber sie wird von denen angezündet, die jahrelang dafür gesorgt haben, dass Frauen nicht in Führungspositionen sind und jetzt werden die diffamiert, die es geschafft haben. Das ist eine hochfiligrane und gleichzeitig schäbige Form der Diskriminierung.

Reicht eine Quote aus, um die Gesellschaft umzukrempeln?

Sattelberger: Auf keinen Fall. Die Quote ist ein Symbol, ein Fuß in der Türe. Wir müssen uns auch über Arbeitszeitkultur, Karrieresysteme und die Art, wie in Unternehmen ausgebildet wird, Gedanken machen. Menschen sollten verhandeln können, wie ihren Lebensphasen angepasste Arbeitszeiten und -orte aussehen. Studien machen deutlich, dass die berufliche Entwicklung meist bis Mitte 30 entschieden ist. Da müssen Personaler Hand anlegen, um Karrieren in den Jahrzehnten danach zu ermöglichen. Und ich erlebe heute noch große Unternehmen mit Altersbegrenzungen in Personalförderprogrammen. Wie bescheuert.

Hat die Politik Möglichkeiten, einzugreifen?

Sattelberger: Nein, es geht darum, ob Unternehmen Unterschiede zu schätzen wissen. Das Thema Mann und Frau ist auf einer ähnlichen Ebene wie jung und alt, deutsch und mit Migrationshintergrund. Will man angepasste Klone oder selbstbewusste, unterschiedliche Menschen? Deutsche Unternehmen werden erkennen, dass sie gar nicht anders können, als zu reformieren. Und zwar nicht, wenn das Wasser bis zum Hals steht, sondern jetzt.

Erleben Sie seit der Debatte und der Einführung der Frauenquote ein Umdenken in der Gesellschaft?

Sattelberger: Die Frauenquote hilft, Diskussionen darüber anzustoßen, was Führung bedeutet — das ist gut. Irritation ist der Beginn von Veränderung. Chancenfairness heißt, dass der Kuchen anders verteilt wird, das tut auch weh. Entscheidend ist, wo die Unternehmensleitung steht. Wenn man zwielichtige Signale sendet oder mit verschiedenen Hierarchieebenen versucht, zu tricksen, sind das ganz doppelbödige Botschaften.

Wie lange dauert es, bis das Thema in jeder Chefetage angekommen ist?

Sattelberger: Ich vermute noch eine Dekade, wir sind gerade mitten im Marathon. Die gesellschaftliche Debatte über Frauenförderung erweitert sich auf die Arbeitskultur. So eröffnet die Quote eine Diskussion über die Rolle des Menschen in der Wirtschaftswelt. Die Frage der Innovationsfähigkeit der Wirtschaft hängt von der Vielfalt von Problemlösungsstilen, Meinungs- und Erfahrungshintergründen ab.

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