DDR-Serie: Mit dem Motorrad in den Westen

1957 ließ Rudolf Dreyer sein Leben in der DDR zurück und kam ins Bergische Land.

Witzhelden. Ostdeutschland 1957: Zwei Jahre vor dem Bau der Mauer in der DDR, fasste der junge Rudolf Dreyer den Entschluss, sein junges Heimatland zu verlassen. "Als mein Mann im Alter von 23 Jahren zur Volksarmee gehen sollte, beschloss er allein und auf eigene Faust aus der DDR in den Westen zu fliehen", sagt seine Ehefrau Renate Dreyer (72).

"Es lag nicht nur an den Bananen, die es in der DDR nicht so häufig gab wie im westlichen Teil Deutschlands, sondern vor allem an der beschränkten Meinungsfreiheit und der Vereinheitlichung in der DDR."

Seine Flucht hatte der junge Mann gut vorbereitet. "Er hatte sich bereits vorher einmal auf den Weg in den Westen gemacht und sich dort nach Arbeit und Möglichkeiten zum Wohnen umgesehen. Danach stand für ihn fest, der DDR endgültig den Rücken zu kehren", sagt seine Frau, die in Witzhelden lebt.

Der Plan des jungen Mannes nahm langsam Gestalt an. Darüber geredet hat er mit niemandem - zu groß war die Gefahr, dass man Rudolf Dreyer erwischt. So verließ er nicht nur seine Heimat, sondern auch seine Familie. Ohne zu wissen, wann und ob er seine Liebsten wiedersehen würde, machte er sich auf in die Ungewissheit, die ihn erwartete.

"Damit sein Plan gelingen konnte, musste er irgendwie unauffällig über die Grenze kommen", sagt Renate Dreyer. Mit viel Gepäck wäre er sofort verdächtigt gewesen. Daher flüchtete Rudolf Dreyer auf seinem Motorrad in den Westen. "Das Einzige was er dabei hatte, war ein kleiner Werkzeugkoffer mit den wichtigsten Dinge, um eine Panne zu reparieren", sagt die 72-Jährige.

In seinem kleinen Werkzeugkoffer am Motorrad hatte er aber auch das Notwendigste versteckt: Der 23-jährige hatte den Stiel eines Hammers ausgehöhlt. Dort hinein hatte er etwas Geld gesteckt. Den Stiel des Hammers hatte er mit Kitt versiegelt. Das war das Einzige, was ihn auf seiner Flucht begleitet hatte.

"An der Grenze angekommen erzählte mein Mann den Grenzern, dass er eine Tante in Hannover hätte, die er besuchen wollte. Da er nur den Führerschein mit hatte, glaubten sie ihm das", sagt Renate Dreyer. Dennoch ließen ihn die Grenzer nicht einfach so durch, der 23-Jährige wurde bis aufs Hemd kontrolliert.

"Mit dem besagten Hammer klopfte einer der Grenzposten sein Motorrad ab." Für den jungen Mann seien damals die längsten Minuten seines Lebens angebrochen: Würde der Kitt am Hammer halten? Würde den Grenzposten auch wirklich nichts auffallen? Würden sie ihn durchlassen?

Keinem der Grenzer war etwas aufgefallen und Rudolf Dreyer konnte das Land verlassen. Einige Tage nach der Flucht ließ er sich im Bergischen Land nieder, wo er schnell Arbeit fand und ein neues Leben begann. Zwei Jahre nach der Flucht lernte er seine Frau Renate Dreyer kennen, die selbst gebürtig aus dem Ruhrgebiet kommt.

Im darauffolgenden Jahr heirateten die beiden und bekamen kurze Zeit später das erste ihrer drei Kinder. "Als dann 1989 die Mauer fiel, war das Happy End perfekt", erzählt Renate Dreyer. "Danach konnte er endlich wieder seine Familie besuchen, die er in so jungen Jahren hinter sich gelassen hatte."

Der mutige junge Mann von damals wäre in diesem Jahr 75 geworden - allerdings verstarb Rudolf Dreyer vor vier Jahren.

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