Analyse: Warum Joachim Erwin heute noch so polarisiert

Das Erbe eines Rastlosen: Auch sechs Jahre nach dem Tod des OB sind noch längst nicht alle Wunden verheilt.

Düsseldorf. „Nett sein allein reicht nicht.“ Dieses Zitat von Joachim Erwin aus dem Jahr 2004 ist der Schlüssel zu seinem Selbstverständnis — und damit gleichzeitig auch zur aktuellen Debatte um eine Ehrung für den 2008 verstorbenen CDU-Oberbürgermeister. Denn wie sich zeigt, sind längst nicht alle Wunden verheilt, die Erwin zu Lebzeiten schlug. Was vor allem den neuen OB Thomas Geisel (SPD) wundert. Er meint, gut sechs Jahre nach dem Ableben des Vor-Vorgängers müsse man die alten Feindschaften endlich ruhen lassen. Dies sei ein Gebot der Vernunft. Doch Erwin polarisiert heute noch.

Wer verstehen will, weshalb das so ist, muss wissen, dass Erwin ein rastloser Politiker war. Mit großer Energie, enormer Detailtiefe und einer gehörigen Portion Ungeduld brachte er die Dinge voran. Letztere wuchs offensichtlich mit seiner Krebs-Erkrankung. Je mehr Zeit verrann, desto weniger Rücksicht nahm er auf die Befindlichkeiten von Gegnern — und Freunden.

Die politischen Tricks Um seine politischen Ziele durchzusetzen, ging Erwin stets bis an die Grenzen. Und manche seiner Gegner sagen, auch darüber hinaus.

Etwa beim Verkauf der Stadtwerkemehrheit: Bis Ende September 2005 versicherte Erwin öffentlich, er strebe keinen Verkauf der Mehrheitsanteile an. Keine drei Monate später beschloss die CDU/FDP-Ratsmehrheit auf seinen Vorschlag hin genau dies. Kritiker warfen ihm vor, er habe die Öffentlichkeit gezielt getäuscht, damit ein neuerliches Bürgerbegehren (2001 hatte ein Bürgerentscheid den Verkauf von Anteilen schon mal verhindert) zu spät kommt.

Viel Streit gab es auch um die Düsseldorf Arcaden. Erwin trieb das Projekt vehement voran, hatte aber zum Schluss nur die Unterstützung der CDU-Fraktion. Woher bei der (geheimen) Abstimmung die entscheidenden zwei Stimmen kamen, ist bis heute ungeklärt. Sogar Korruptionsvorwürfe wurden laut, erhärtet haben sich diese nie.

Legendär ist auch die Trickserei beim Bürgerbegehren „Rettet den Golzheimer Friedhof“ 2007. Das wurde vom Stadtrat als unzulässig erklärt — mit einer fadenscheinigen Begründung, die später von einem Gericht kassiert wurde. In der Zwischenzeit aber wurde das umstrittene Grundstück (dort steht heute die Ergo-Erweiterung) rasch verkauft — zwei Tage bevor ein neues Gesetz in Kraft trat, das Bürgerbegehren weitergehende Rechte einräumte.

Die kollektiven Beleidigungen Solche Tricks haben Erwin vor allem beim politischen Gegner unbeliebt gemacht. Schwerer wiegen in der Rückschau aber die Beleidigungen aller Art, darunter auch kollektive Schmähungen. Die sind zwar ein gängiges Mittel der Politik. Doch er ging auch dabei an die Grenzen — weshalb so manches bis heute nachwirkt.

Als etwa das Bürgerbegehren gegen den Verkauf des Jan-Wellem-Platzes an zu geringer Beteiligung gescheitert war, schmähte er die immerhin 63 000 Gegner des Kö-Bogens mit dem Satz: „Die 63 000 lassen mich völlig kalt.“ Respekt für andere Meinungen sieht anders aus.

Ein anderer Satz wirkt bis heute in der Schwulen- und Lesbenszene nach: Diese „sollten sich besser nach Berlin verlegen“. Das nehmen ihm viele immer noch übel.

Auch Unternehmen bekamen ihr Fett weg. Als ThyssenKrupp ankündigte, seinen Sitz von Düsseldorf nach Essen zu verlegen, warf er verbal Steine hinterher: Das Unternehmen sei „so wichtig wie eine Pommesbude“. Solche verbalen Rundumschläge waren auch in der CDU gefürchtet. „Mal sehen, ob er heute wieder drei Bürgermeister mit einem Satz beleidigt“, seufzte seinerzeit ein Landtagsabgeordneter am Rande einer Veranstaltung, bei der Erwin sprach.

Die persönlichen Beleidigungen Am nachhaltigsten wirken aber bis heute die persönlichen Beleidigungen. Eine solche muss es wohl auch gewesen sein, die Dirk Elbers so sehr traf, dass der Nachfolger während seiner Amtszeit eine Ehrung Erwins stets blockierte. Der Inhalt ist bis dato nicht öffentlich geworden.

Wie verletzend Erwin sein konnte, hat auch SPD-Frau Gudrun Hock am eigenen Leib erfahren. So spekulierte Erwin 2006, ob sich Hock für die Abschaffung von Kindergartenbeiträgen stark mache, weil sie selbst noch Kinder bekommen wolle. Ihr Alter sei ja kein Hinderungsgrund, heutzutage wäre manches möglich. Nicht nur Hock empfand das als Geschmacklosigkeit.

Von solchen Taktlosigkeiten ist allerlei überliefert. Einen seiner Mitarbeiter schickte er einst mit den Worten weg: „Jetzt geh’ mal weg hier, du bist eh’ zu dick.“ Eine Serviererin im Rathaus herrschte er an: „Nein, ich will nichts und nur, dass Sie sich möglichst in Luft auflösen.“ Und zum damaligen Protokollchef der Messe sagte er: „Halt mal’s Maul, oder du fliegst raus!“

Jetzt zeigt sich: Das Echo solcher Äußerungen ist auch nach sechs Jahren noch nicht verhallt.

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