Begegnung mit dem Killer

Polizist Stephan Harbort forscht seit langem über Serienmörder. Jetzt hat er mit Opfern geredet, die einen Angriff überlebten.

Düsseldorf. "Nach der Vergewaltigung hatte ich den Eindruck, dass der Mann nicht mehr so wild war. Er hatte auch nicht mehr diesen brutalen Gesichtsausdruck. Man kann aber nicht sagen, dass er jetzt besonders ruhig war. Irgendwie erschien er mir etwas erschüttert. Ich meine, dass er erschüttert war wegen der Tat. Ich habe dann versucht, mit ihm eine normale Unterhaltung zu führen. Er sagte unter anderen, dass er kein Auto, keinen Fernseher und kein Radio habe. Das brachte der völlig zusammenhanglos."

Dieser Bericht stammt von einer 19-Jährigen, die einem Serienmörder begegnet ist. Nach zwei Stunden Folter ließ er sie laufen. Der Düsseldorfer Kriminalhauptkommissar Stephan Harbort nimmt seit vielen Jahren Kontakt zu den Tätern auf, hat fünf Bücher über sie geschrieben.

Jetzt hat er sich den Opfern zugewandt. Zwei Jahre hat er sich Zeit genommen, um 155 Mordserien mit 674 einzelnen Taten zu untersuchen - speziell die 107 Fälle, in denen das Opfer den Angriff eines Serienkillers überlebt hat. Elf Opfer waren bereit, selbst mit Harbort zu sprechen. In "Begegnung mit dem Serienmörder" hat er ihre Leidensgeschichte aufgeschrieben.

Stephan Harbort: Ich habe als junger Polizist selbst einen 25-Jährigen erlebt, der bei uns seinen Stiefvater als vermisst melden wollte - später kam heraus, dass er den Stiefvater, seine Stiefschwester und die Ex-Freundin umgebracht hatte. Was mich so betroffen und neugierig gemacht hat, war, dass der Mann so völlig gefühllos darüber sprach. Daraufhin habe ich mit ersten Forschungsarbeiten begonnen.

Harbort: Pauschal kann man das nicht sagen. Viele Täter sehen in ihren Opfern lediglich Objekte und entmenschlichen sie. Allerdings bleiben die meisten Täter zu jeder Phase eines Verbrechens ansprechbar und steuerbar. Beispiel: Der Täter lauerte schon im Treppenhaus, mit der festen Absicht, eine Mutter und ihre Tochter zu töten. Plötzlich begann jemand, in der Wohnung Klavier zu spielen. Der Mann erzählte mir später: "Das hat mich so mitgenommen und an meine Kindheit erinnert, da konnte ich die nicht mehr umbringen und bin abgehauen."

Harbort: Überwiegend nicht. Ein Serienmörder braucht im Schnitt 31 Anläufe, bei denen er mit dem Ziel loszieht, jemanden zu töten, bevor es wirklich zu einer Tat kommt. In den meisten Fällen haben die Täter kein spezifisches Opferprofil im Kopf, sondern nur eine vage Vorstellung wie: weiblich, zwischen 20 und 30 Jahre alt. Es gibt aber auch Serienmörder, die auf einen Opfertyp regelrecht fixiert sind. Einer hat mal vier Frauen niedergestochen, die alle der neuen und verhassten Lebensgefährtin seines Vaters ähnlich sahen.

Harbort: Opfer werden in Deutschland noch immer stiefmütterlich behandelt. Der Täter bekommt eine Therapie vom Staat bezahlt. Das Opfer nicht. Es muss selbst initiativ werden, wenn es Hilfe will. Und über Serienmord-Opfer in Deutschland wusste man bisher gar nichts.

Harbort: Ich habe kein Opfer kennen gelernt, das die Tat vollkommen überwunden hat. Manche schieben das Erlebte weg, andere suchen professionelle Hilfe. Die körperliche Verletzung, die viele erfahren haben, ist nicht so schlimm wie das Gefühl, einem Fremden auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein. Dem Tod ins Auge zu sehen und nichts tun zu können. Und alle beschäftigt die Frage: Warum gerade ich?

Harbort: Das Gegenteil ist der Fall. Jedes Opfer hat in nahezu jedem Fall die Möglichkeit, auf den Täter einzuwirken und ihn von seinem ursprünglichen Plan abzubringen. Häufig klappt das, wenn sich das Opfer ganz unerwartet verhält. Mir hat ein Täter erzählt, er habe sich ganz klein und mies gefühlt, wenn ihm die Frauen angeboten hätten, ihn zu küssen, in den Arm zu nehmen oder mit ihm über seine Probleme zu reden. Darauf sind die Täter nicht vorbereitet. Allerdings ist das kein Patentrezept.

Harbort: Jeder Täter sammelt bei seinem kriminellen Tun Erfahrungen, insbesondere im Umgang mit Opfern. Deshalb halten sich die Täter vornehmlich an Personen, die durch ihre Erscheinung, Kleidung, Gestik, Mimik oder Körperhaltung signalisieren, ein geeignetes Opfer zu sein. Personen hingegen, die ein hohes Maß an Sozialkompetenz ausstrahlen, werden von den Tätern meistens gemieden, weil sie sich ihnen nicht ebenbürtig glauben und ein erhöhtes Risiko wähnen, die Sache könnte schiefgehen.

Harbort: Wenn es tatsächlich zu einem Angriff mit Tötungsabsicht kommt, nicht halbherzig zur Wehr setzen, sondern mit allen Mitteln. Je aggressiver ich als Opfer in einer solchen Situation agiere, desto größer sind die Chancen, mit dem Leben davonzukommen.

Harbort: Da muss ich leider passen. Den Königsweg gibt es nicht, dafür sind Täter und Tatverläufe zu unterschiedlich. Aber man kann seine Alltagsroutine hinterfragen. Die meisten Attacken passieren in der eigenen Wohnung, am eigenen Arbeitsplatz oder auf dem Weg dorthin. Grund ist wohl die Illusion der eigenen Unverwundbarkeit - Verbrechen passieren doch immer nur den anderen. Wer kritisch das eigene Verhalten betrachtet und Konsequenzen zieht, der tut viel für die eigene Sicherheit.

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