Der Dichter Grass als Türsteher

Der spätere Nobelpreisträger, der am Montag verstarb, begann in Düsseldorf mit einem Praktikum auf einem Friedhof und einer Combo in der Altstadt.

Der Dichter Grass als Türsteher
Foto: Arend

Düsseldorf. Günter Grass war 20 Jahre alt, als er in Düsseldorf auftauchte. Sein Künstlerkollege German Becerra, der heute in Frankreich lebt, erinnert sich noch an seinen Schnurrbart und an die kräftige Nase. Das Düsseldorfer Einwohnermeldeamt ahnte in der Nachkriegszeit nicht, wen sie da vor sich hatten, und führten den späteren Nobelpreisträger als Günter „Grahs“, geboren 16. Oktober 1927 in Danzig. Sein Zuzug nach Düsseldorf erfolgte nach Auskunft der Düsseldorfer Stadtverwaltung am 13. März 1947.

Er kam nicht etwa als Dichter, sondern als angehender Steinmetz. Zusammen mit Josef Müller fuhr er zur Firma Moog auf den Stoffeler Friedhof, um in der Nachkriegszeit alte Steine zu restaurieren oder zu kopieren und um neue herzustellen. Ohne eine ordentliche Lehre zu absolvieren, soll er ein tüchtiger Steinbildhauer gewesen sein, sagt Josef Müllers Witwe Sigrid. Doch Grass wollte höher hinaus und studierte bei Josef Mages an der Kunstakademie. Er fing an zu zeichnen und zu schreiben. Sigrid Müller schildert ihn als einen „richtigen Kerl, der gern tanzen ging“.

Sein erstes Quartier war ein Heim am Ratherbroich 155 für wenig betuchte Leute. Am 23. Juni 1949 wird er an der Jülicher Straße 34 gemeldet, am 24. April 1951 an der Stockumer Kirchstraße 35. Diese häufigen Umzüge waren damals üblich. Künstler schlüpften in der ersten, besten Unterkunft unter.

Der spätere Nobelpreisträger für Literatur war eine hagere Gestalt mit Kinnbart. Er begann seine Karriere 1952/53 als Türsteher im alten Mantel des Wirts Otto Schuster. Der Mantel war bitter nötig, denn der Winter war kalt.

Schuster hatte 1950 das „Csikos“ an der Andreasstraße in der Altstadt gegründet, als „ungarische Schenke“. Die Atmosphäre des Nachtlokals, der Geruch der Petroleumlampen und des Knoblauchs, die tränentreibende Gulaschsuppe und der Slibowitz, all dies war Günter Grass bestes bekannt. „Wir gingen alle ins Csikos trinken. Es war ein Fest, es gab viel Stimmung. Wir haben Quatsch gemacht. Wir wollten die Gesellschaft lächerlich machen“, erzählt der Maler und Bildhauer German Becerra.

Grass brachte das Schlagzeug mit und machte das Waschbrett zu seinem Erkennungszeichen, indem er es mit metallenen Fingerhüten traktierte. 1948 gründete er mit Horst („Flötchen“ Geldmacher (1929-1983) die erste Jazz-Combo. Der Liedermacher Dieter Süverkrüp erzählt über Geldmacher: „Er legte großen Wert darauf, dass seine Begleiter sich nicht allzu sehr profilierten. Sie sollten zumindest keine rhythmischen Kapriolen machen.“ Will heißen: Viele Extempores konnte sich Grass nicht erlauben.

Grass wohnte mit Geldmascher im Hinterhaus der Stockumer Kirchstraße Sie bauten die Dachluke aus, die über eine Blechtreppe erreichbar war. Die Freundschaft der beiden führte 1955 zu einer Uraufführung in Bonn. Grass schrieb das Libretto für ein Ballett, Geldmacher komponierte die Musik - obwohl er keine Noten kannte- und Marcel Luitpart aus Paris choreographierte es.

Sinnbild der Düsseldorfer Künstlerszene in den 1950er Jahren wurden zwei wichtige Dokumente. Das eine ist der Roman „Die Blechtrommel“ von Grass, den er nach seinem geräuschlosen Abgang aus Düsseldorf 1959 in Berlin verfasste. Es ist eine literarische Aufarbeitung all jener Typen, die er in der pintenseligen Altstadt kennengelernt hatte. Die „Abmeldung von Amts wegen“ aus Düsseldorf erfolgte am 19. Oktober 1954.

Das andere Zeugnis jener Zeit ist das „Blechtrommelbild“, ein großartiges Panorama, das heute als Dauerleihgabe der Familie Schuster im Stadtmuseum hängt. Das Bild stammt von Franz Witte (1927-1971) und German Becerra. Vor allem Witte, ein Mann voller Humor und Witz, wollte die Düsseldorfer Szene auf dem Blechtrommelbild verulken. Der gelernte Schaufensterdekorateur und Meisterschüler von Otto Pankok war allerdings auch, wie so viele hungernde Künstler jener Jahre, ein „unglaublicher Schluckspecht“. So schildert ihn der inzwischen verstorbene Galerist Jürgen Niepel. „Er kam morgens zu mir in die Buchhandlung an der Grabenstraße, nachdem er nachts in einem Hauseingang gepennt hatte. Ich holte Brötchen, damit er wenigstens etwas Festes im Magen hatte.“

Witte war ein sehr sensibler Mensch und unheimlich begabt. Grass setzte ihm mit der Figur des Gottfried von Vittlaer in der „Blechtrommel“ ein literarisches Denkmal. Er hat ihn lange Zeit finanziell unterstützt, konnte ihn aber weder vor dem Alkohol noch dem „Irrenhaus“ retten. 1971 tauchte Witte frühmorgens völlig durchnässt mit einer klaffenden Kopfwunde im Landeskrankenhaus auf, wo er Patient war, und fiel kurz danach ins Koma, aus dem er nicht mehr erwachte. Auf dem Eller Friedhof folgten dem Sarg Freunde, Kollegen und Altstadt-Gastronomen. Grass hielt die Grabrede.

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