Der Gitarrenchirurg

Vor rund 50 Jahren gründete sein Vater Wilhelm das Geschäft. Heute ist Wilfried Liesenfeld der einzige Gitarrenbauer der gesamten Region.

Derendorf. Mit starrem Blick schlägt der Mann mit der abgeriebenen Jeansschürze die Saiten einer E-Gitarre. Ganz langsam, eine nach der anderen. Er spielt keine Melodie, sondern hört nur auf den Klang. Neben dem 60-Jährigen flimmert ein alter Röhrenfernseher, der mit einer Staubschicht bedeckt ist. Es läuft Fußball an diesem Morgen. Und draußen läuft Derendorf. Die Werkbank von Wilfried Liesenfeld ist so ausgerichtet, dass er beim Pfeilen, Schleifen und Schneiden durch das große Schaufenster auf die Collenbachstraße blicken kann.

„Ich richtet gerade die Gitarre ein“, unterbricht er sein zupfendes Schweigen. „Da musste nur der Sattel neugemacht werden.“ Der Sattel ist ein weißes Stück am Ende des Halses der Gitarre. Nur wenig größer als ein Streichholz. Darin liegen in kleinen Kerben die Saiten des Instruments. Nicht weniger als Akribie ist dabei sein Anspruch. Ein Zehntel-Millimeter ist sein Toleranzmaß. „Das ist schon alles Fummelarbeit, aber das ist ja das Interessante an der Arbeit“, sagt Liesenfeld.

Mit selbstgebogenem Dietrich und Taschenspiegel erforscht er später einen Trockenriss an einer Mandoline. Als Gitarrenbauer baut man auch sein Werkzeug selbst. „Jede Reparatur ist anders und eine neue Herausforderung“, sagt er. Spricht man bei seiner Arbeit von Flicken, dann kommt es für ihn einer persönlichen Beleidigung gleich. „Wenn ich mit einer Säge die Decke aufschneide, kriegen die Musiker einen zu viel. Die haben das Gefühl, dass ich am offenen Herzen arbeite“, sagt Liesenfeld.

Liesenfeld ist ein Exot. Auch wegen seines Berufs. Jemanden wie ihn gibt es in ganz Düsseldorf kein zweites Mal. Ähnlich sieht es gar in der gesamten Region aus. Ausgebildet hat ihn sein Vater Wilhelm. Der gründete das Geschäft vor 50 Jahren. Davor tüftelte der heute 90-Jährige in einer Mansarde an Gitarren, um die Familie durchzubringen.

„Das hat mich immer interessiert, deshalb lag es nah, dass ich mich bei ihm ausbilden lasse“, sagt Wilfried Liesenfeld. In all den Jahren habe sie sich nicht ein einziges Mal gestritten — obwohl der Vater zunächst skeptisch gewesen sei.

Ende der 1980er-Jahre beginnt der heute 60-Jährige für einige Jahre am Flughafen zu arbeiten. „Zwei Familien konnte man von dem Geschäft nicht ernähren“, sagt er. Dennoch bleibt er den Gitarren treu. „Wenn ich Nachtschicht hatte, war ich tagsüber im Laden. Und umgekehrt.“

Eine Gitarre gebaut hat Liesenfeld schon lange nicht mehr. „Dazu komme ich nicht mehr. Das geht nicht, wenn man Einzelkämpfer ist.“ Permanent hat er dutzende Gitarren zur Reparatur in der Werkstatt. Im Ladenlokal nebenan verkauft er Gitarren, Zubehör und Notenhefte. „Das ist heute das Hauptgeschäft“, sagt er. Verbittert klingt er dabei nicht. So sei das nun einmal. Stattdessen wird in seiner Werkstatt die Geschichte des Geschäfts konserviert. Sein Telefon dudelt nicht, es schellt. Links, neben dem Regal mit alten Fotos und wieder einem Schwung der etlichen Kisten und Kästchen mit irgendwelchen Schrauben, Seiten und Ersatzteilen, steht ein hellgrauer Apparat mit Wählscheibe. Einziger Hinweis auf das Jetzt in dieser abgewetzten Gemütlichkeit der Vergangenheit ist ein Zalando-Päckchen. „Die nehme ich für die Nachbarinnen an. Ich bin ja immer hier.“

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