„Die Auferstehung ist der eigentliche Kick“

Bäcker Josef Hinkel glaubt an die Ostergeschichte, Künstler Jacques Tilly hält Erlösung für Quatsch. Grundverschieden sind ihre Weltbilder, dennoch sind sie Freunde.

„Die Auferstehung ist der eigentliche Kick“
Foto: David Young

Herr Hinkel, Herr Tilly, was schätzen Sie aneinander?
Josef Hinkel: Komm Jacques, fang du an.
Jacques Tilly: Der Josef ist mir schon aufgefallen, als er das erste Mal in die Wagenbauhalle kam. Welche Energie er entfaltet hat, wie mitreißend er war. Ich glaube an seine Aufrichtigkeit, an seine Gradlinigkeit. Und das ist eine ganz wunderbare Grundlage für Freundschaft.
Hinkel: Was ich an ihm so liebe, das ist sein freies Denken, ohne Scheuklappen. Das findet man heute nicht so oft. Jacques geht die Schritte, die andere, auch ich, nur im Kopf haben.

Sie sind beide sehr beschäftigt, wie oft sehen Sie sich?
Hinkel: Wir treffen uns nicht jeden Abend, um ein Bier zu trinken. Das ist sowieso nicht mein Thema. Aber wenn wir uns sehen, tauschen wir uns sehr gut aus.
Tilly: Ich kann den Rückenwind vom Josef sehr gut gebrauchen, der da seit Jahren kommt. Kontinuierlich bläst er.
Hinkel: Und ich meine, Jacques gehört an die Kunstakademie. Das ist natürlich schräg gedacht, hat aber auch etwas mit einer Wertschätzung des Karnevals zu tun.

Wollen Sie denn überhaupt an die Kunstakademie?
Tilly (lacht): Ernste Kultur und Unterhaltungskultur — das wird aus Sicht der Akademie nicht zusammengehen, denke ich. Das muss man einfach realistisch sehen. Einen Gastvortrag kann ich mir jedoch vorstellen. Dass ich mal zeige, was ich mache und was mein Weg ist.

Sie haben im Vorfeld zu unserem Treffen gesagt, dass Sie kein kriegerisches Gespräch miteinander führen möchten. Besteht denn diese Gefahr?
Tilly: Nein, zwischen uns überhaupt nicht. Wenn Sie jedoch andere Erwartungen haben, nach dem Motto, wir würden uns hier schön fetzen, weltanschaulich, dann sagen wir lieber ab. So war das gemeint.

Das ist gar nicht unser Anliegen. Und dennoch prallen gerade im Karneval Weltbilder aufeinander. Gab es schon mal einen Wagen, der dem Katholiken Hinkel zu weit ging?
Hinkel: Nein gar nicht, denn ich finde, im Karneval kann man eigentlich alles machen. Für mich als CC-Präsident und auch als Katholik ist wichtig: Am Aschermittwoch ist alles vorbei. Bis dahin hat der Narr die Freiheit, kann man auch als Mensch und Kathole Dampf ablassen.
Tilly: Der Josef würde es sogar gerne stärker haben, glaube ich. Du hast gerne ein bisschen Konfrontation?
Hinkel: Ja, ich hab gern ein bisschen Kitzel. Durchschnitt kann jeder. Gegen den Wind segeln, das ist es. Immer allerdings auch der Vernunft verpflichtet. Deshalb bin ich auch ganz nah bei den Humanisten, die eigentlich auch ein Ableger des christlichen Glaubens sind.

Was bedeutet Ihnen denn Ostern?
Hinkel: Das ist natürlich das höchste Fest in den christlichen Kirchen. Weil an Ostern eben klar herauskommt, dass Jesus tatsächlich Gott ist. Denn wer außer Gott könnte aus sich selbst heraus von den Toten auferstehen? Das ist ja eigentlich der Kick. Ein Mensch ohne irgendeinen Anker im Leben ist ein Narziss. Ich bin der Mittelpunkt in meinem Leben und Schluss? Hallo? Das wäre ein trauriges Leben.

Wie sehen Sie das Herr Tilly, als Nichtgläubiger?
Tilly: Also, Ostern ist ein Frühlingsfest. Das feiere ich mit meinen Kindern. Es ist bunt und lustig und schön. Dass es eine religiöse Komponente hat, habe ich erst in der Pubertät erfahren.

Und sagt Ihnen die Ostergeschichte etwas?
Tilly: Ich bin ein a-religiöser Mensch, ein Agnostiker. Ostern ist etwas, das ich als religionswissenschaftlich interessierter Mensch anschaue, aber es hat für mein eigenes Leben und Denken keine Bezüge. Natürlich habe ich einen moralischen Kompass. Jedoch halte ich es nicht für richtig, diesen Kompass noch zu legitimieren, indem man sich auf irgendein übernatürliches Wesen beruft, das wir Menschen uns im Wesentlichen selbst ausgedacht haben. Ein solcher Glaube kann Orientierung geben, sicher. Ich bin da jedoch in anderen weltanschaulichen Sphären. Aber das macht ja nichts. Wenn ich nur mit den Menschen befreundet wäre, die die Welt so sehen wie ich, dann wäre ich ziemlich einsam.

Wo hilft Ihnen Ihr Glaube an die Auferstehung im Alltag?
Hinkel: Er nimmt den Blick von einem selber weg. Warum mache ich denn das ganze Spielchen? Letztlich doch, um sittliche Aufgaben in der Welt zu erfüllen. Mir hat einmal ein theologischer Freund gesagt: „Das Aquarium des katholischen Glaubens ist groß, da findet jeder eine Heimat. Es reicht vom Dogmatiker bis zu Kardinal Joseph Frings, der sagt, ihr könnt auch klauen gehen.“ Ich bin da eher kölsch-katholisch.
Tilly: Also, wenn man mich fragt, was meine Werte sind: Ganz entscheidend ist für mich das Selbstbestimmungsrecht des Menschen. Aber ich habe ein Problem mit der Religion, weil sie von absoluten Wahrheiten spricht und jeder, der diese nicht anerkennt, leicht als absoluter Lügner dargestellt werden kann. Das liegt im Wesenskern der Schriften. Die sind nicht tolerant, sondern Verkündigungsschriften.

Herr Hinkel, meinen Sie eigentlich, dass es für Jacques Tilly von Vorteil sein könnte, Christ zu sein?
Tilly (lacht): Klar!
Hinkel: Nein. Also ich bin gerne bereit, missionarisch zu arbeiten, aber ich würde jetzt nicht den Jacques zum Christen machen wollen.

Herr Tilly, Sie setzen sich seit 15 Jahren mit der Religion intensiv auseinander. Und man hat den Eindruck, dass Sie mit der Zeit immer böser auf die Kirche werden.
Tilly: Es gibt sehr viele Dinge, die ich von dem Religionskritiker Karlheinz Deschner erfahren habe. Er hat mich in ganz vielen Punkten tatsächlich zurechtgemacht und den Fokus auf die Schattenseiten des Christentums gelegt. Und was ich da über viele Bände lesen musste, hat mir die Sprache verschlagen.

Was halten Sie von dem neuen Papst? Haben Sie den Eindruck, dass sich Kirche unter ihm verändern kann?
Tilly: Ich habe ja in diesem Jahr quasi einen Papst-Franziskus-Werbewagen für den Rosenmontagszug gebaut: Bescheidenheit gegen Protz. Er ist ein Papst, der die richtigen Akzente setzt.

Welche Rolle spielte die Religion bei Ihnen zu Hause?
Hinkel: Also es ging los mit der Taufe, Wasser drauf, fertig. Das hilft ja immer.
Tilly: Kann jedem mal passieren.
Hinkel: Dann gab es die sonntäglichen Gottesdienste natürlich, die Feiertage. Ich habe das immer sehr genossen. Drohungen wie „Du kommst in die Hölle“ gab es bei uns zu Hause nicht. Für mich ist das Evangelium tatsächlich eine frohe Botschaft.
Tilly: Ich sehe das so, dass das schöne Rosinen sind, der Kuchen drumherum jedoch vergiftet ist, zum Teil. Im Matthäus-Evangelium sagt Jesus: „Und der Herr wird seine Engel ausschicken, und wird all diejenigen, die andere verführt haben, packen und in den Ofen werfen und dort werden sie mit den Zähnen klappern.“ Das ist eine Drohkulisse, die mit einer frohen Botschaft überhaupt nichts zu tun hat.

Sind Sie mit dem kritischen Blick auf die Religion groß geworden?
Tilly: Ja. Meine Großeltern haben sich in den 50er Jahren scheiden lassen. Das war ungewöhnlich. Der damalige Dechant König von St. Antonius in Oberkassel hat in seiner Predigt damals gesagt: Liebe Kinder, spielt nicht mit Kindern aus Scheidungsfamilien. Daraufhin ist mein Onkel aufgestanden und gegangen. Er hat nie wieder eine Kirche betreten. Das ist Teil unserer Familiengeschichte. Mein Vater war immer wissenschaftlich orientiert und meine Mutter war Künstlerin.

Ostern ist ja auch das Ende der Fastenzeit. Fastet der Bäcker?
Hinkel: Klar. Ich habe dieses Mal keinen Alkohol getrunken.

Kann der Agnostiker auch mit Verzicht etwas anfangen?
Tilly: Ja, er ist auch etwas, das Teil meines Lebens ist. Ich halte zum Beispiel die Sonntagsruhe für sehr wichtig. Mit dem Wort Erlösung, das ja auch immer mit Ostern assoziiert wird, kann ich allerdings nichts anfangen. Ich denke nicht, dass wir Menschen von irgendetwas erlöst werden sollten. Das funktioniert nur, wenn man das Diesseits diskriminiert als Ort des Leidens.

Gab es in Ihrem Leben eine Art Kreuzweg?
Tilly: Also, dass das Leben kein Zuckerschlecken ist, weiß jeder, der einigermaßen lange auf Erden ist. Und das ist ja das Attraktive an den Religionen, dass sie im Leiden tatsächlich Trost spenden. Das würde ich mal auf der Habenseite verbuchen.

Hinkel: Natürlich gibt es Erlebnisse, die nicht schön sind. Aber ich glaube an das große Unbewusste. Ich habe das bei meiner Herz-OP erlebt. Da bittet man schon den Chef darum, dass er diese Blockade ausgleicht.

Wie verbringen Sie Ostern?
Hinkel: Wir gehen an Gründonnerstag in die Kirche, an Karfreitag, zur Osternacht und an Ostermontag. Und natürlich gehört das Eiersuchen dazu.
Tilly: Na ja, du hast noch kleine Kinder. Aber meine sind 13 und 15 Jahre alt. Das Eiersuchen jedoch lieben sie. Das ging mir als Kind nicht anders.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort